Angélique - Am Hof des Königs
so konnte sie erkennen, dass die Qualität des Stoffes sehr gut war, ein Etamin in dezentem Graublau, das ihr hervorragend stand.
Als sie endlich die Rue Saint-Antoine ereichten, herrschte in der sauberen, geraden Straße nicht allzu viel Verkehr. Die Kutschen parkten in den schmalen Seitenstraßen. Der junge Mortemart trennte sich von ihnen, um seinen Platz im Umzug einzunehmen, der sich vor den Stadtmauern aufstellte.
Im Hôtel de Beauvais ging es zu wie in einem Taubenschlag. Ein mit silbernen und goldenen Posamenten und Fransen besetzter Baldachin aus tiefrotem Samt zierte den Hauptbalkon. Die Fassade war mit persischen Teppichen geschmückt.
Auf der Schwelle stand eine recht ausladende, stark geschminkte Frau mit sehr kleinen Löckchen, die ohne erkennbare Verlegenheit eine unschöne schwarze Klappe über einem Auge trug, wie es bei den Piraten der südlichen Meere üblich war. Sie war herausgeputzt wie ein Reliquienschrein, hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und dirigierte mit lautem Geschrei die Tapetenwirker.
»Was ist das denn für eine einäugige alte Schachtel?«, fragte Angélique, während sie sich dem Haus näherten.
Hortense bedeutete ihr, still zu sein, aber Athénaïs prustete hinter ihrem Fächer los.
»Das ist die Hausherrin, meine Liebe, Catherine de Beauvais, auch genannt die einäugige Catheau. Sie ist eine ehemalige Kammerfrau von Anna von Österreich, die sie beauftragt hat, unseren kleinen König zu entjungfern, als er fünfzehn Jahre alt wurde. Das ist das Geheimnis ihres Reichtums.«
Angélique musste unwillkürlich lachen.
»Da hat wohl die Erfahrung den Mangel an äußeren Reizen wettgemacht.«
»Ein Sprichwort sagt, für junge Burschen und Mönche gibt es keine hässlichen Frauen«, übertrumpfte sie Athénaïs.
Trotz ihrer Spötteleien verneigten sie sich tief vor der ehemaligen Kammerfrau.
Diese musterte sie scharf aus ihrem einen Auge.
»Ah, da sind ja die Poitevinerinnen. Haltet mich nicht auf, meine Lämmchen. Seht zu, dass Ihr nach oben kommt, ehe Euch meine Kammerzofen die besten Plätze wegschnappen. Aber wer ist das denn?«, fragte sie und deutete mit dem Zeigefinger auf Angélique.
Mlle. de Tonnay-Charente stellte sie vor.
»Das ist eine Freundin, die Gräfin de Peyrac de Morens.«
»Sieh an, sieh an! Hä, hä, hä«, entgegnete die Dame mit einem seltsam hämischen Kichern.
»Ich bin mir sicher, dass sie etwas über dich weiß«, wisperte Hortense, als sie die Treppe hinaufgingen. »Wir waren naiv, zu glauben, dass es nicht irgendwann zu einem Skandal kommen wird. Ich hätte dich niemals mitbringen dürfen. Am besten gehst du gleich wieder nach Hause.«
»Einverstanden, aber dann gibst du mir das Kleid zurück«, antwortete Angélique und streckte die Hand nach dem Mieder ihrer Schwester aus.
»Sei still, du dummes Ding«, zischte Hortense, wehrte sie ab und schubste sie auf der schmalen Treppe zurück.
Angélique fand sich ein paar Stufen tiefer neben der »Frau des Krüppels« wieder, und während sie an ihrer Seite die Stufen hinaufstieg, fragte sie sich, warum ihre Begleiterinnen sie so beharrlich »die Kleine« nannten, obwohl sie von ihnen allen die Größte war. Doch das war nicht auf den ersten Blick zu erkennen, was sicherlich an den perfekten Proportionen ihres Körpers und ihrer anmutigen Gestalt lag.
»Françoise! Françoise, kommt her und stellt Euch neben mich«, rief Athénaïs de Tonnay-Charente, die endlich das oberste Stockwerk erreicht hatte.
Obwohl sie selbst von der Natur mit allen Gaben bedacht worden war, schien die glanzvolle Athénaïs großen Wert auf die Anwesenheit der Gemahlin Scarrons, ihrer verarmten ehemaligen Schulfreundin, zu legen.
Ohne Umstände hatte sie sich das Fenster in einer Dienstbotenkammer gesichert und richtete sich dort für ihre Freundinnen ein.
Mme. Scarron streckte die Hand nach Angélique aus und bedeutete ihr mit einem Lächeln, zu ihnen ans Fenster zu kommen.
»Von hier oben hat man einen fantastischen Ausblick«, rief Athénaïs. »Seht nur, da unten! Die Porte Saint-Antoine, durch die der König hereinkommen wird!«
Angélique beugte sich ebenfalls vor.
Und sie spürte, wie sie erbleichte.
Denn was sie unter dem vor Hitze diesigen Himmel erblickte, war nicht die breite Straße, auf der sich die Menge drängte, auch nicht die Porte Saint-Antoine mit ihrem aus weißem Stein errichteten und mit Girlanden überhäuften Triumphbogen, sondern, ein wenig zu ihrer Rechten, die wie ein düsterer
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