Angélique - Am Hof des Königs
silberdurchwirkten Gewand, das seinen kräftigen Oberkörper so vorteilhaft betonte. Ein Hut, dessen in mehreren Stufen ansteigende Federn von Diamantnadeln gehalten wurden, schützte sein lächelndes Gesicht vor der Sonne.
Er winkte grüßend in die Menge.
Als er vor dem Hôtel de Beauvais ankam, drehte er sein Pferd dem Haus zu und neigte sich zu einem weiten Gruß, den jeder auf seine Weise interpretierte. »Anna von Österreich erblickte darin das Zartgefühl des Sohnes, der ihr größtes Glück und ihre größte Sorge gewesen war; die trauernde Witwe des Königs von England den Ausdruck von Mitgefühl und Bewunderung
angesichts des würdevoll ertragenen Leids; der Kardinal den Dank eines Schülers, dem er die Krone bewahrt hatte. Und die einäugige Catheau dachte, während eine Träne aus ihrem einzigen Auge rann, gerührt an den leidenschaftlichen, hübschen Jungen, den sie einmal im Arm gehalten hatte.«
Der Umzug ging weiter.
Ludwig XIV. ritt weiter, ohne zu ahnen, welche Rolle die drei Frauen in seinem Leben spielen sollten, die dort oben durch allergrößten Zufall versammelt waren: Athénaïs de Tonnay-Charente de Mortemart, Angélique de Peyrac und Françoise Scarron, geborene d’Aubigné.
Angélique spürte, wie Françoise unter ihrer Hand erschauerte.
»Oh, er ist so schön!«, flüsterte die Gemahlin des Krüppels.
Dachte die arme Mme. Scarron beim Anblick des vergöttlichten Mannes, der sich unter tosendem Beifall entfernte, an den gelähmten Alten, dessen Dienerin und – dem unvermeidlichen bösen Klatsch zufolge – Gespielin sie nun schon seit acht Jahren war?
»Ja, er ist sehr schön in diesem silbernen Gewand«, flüsterte Athénaïs, die blauen Augen vor Begeisterung geweitet. »Aber ich kann mir vorstellen, dass er ohne Gewand und Hemd auch sehr ansprechend sein muss. Die Königin hat großes Glück, einen solchen Mann in ihrem Bett zu finden.«
Angélique sagte nichts.
Er hält unser Schicksal in der Hand, dachte sie. Gott steh uns bei! Er ist zu groß! Er steht zu weit über uns!
Trotzdem durchströmte sie bei seinem Anblick neue Hoffnung.
Der König war nach Paris zurückgekehrt. Von nun an war er ganz in ihrer Nähe. Wenn sie beharrlich blieb und alle Hindernisse überwand, würde sie zu ihm durchdringen können.
Schon nahm sie alle Kraft zusammen.
Natürlich durfte sie sich nichts vormachen. Er war der König! Er war allmächtig. Aber wenn es sein musste, würde sie ihm die Stirn zu bieten wissen.
Beifall toste auf, als die Begeisterung der Menge aufs Neue entfacht wurde.
Die junge Königin erschien auf einem von sechs Pferden gezogenen römischen Wagen aus feuervergoldetem Silber. Die Schabracken der Pferde waren mit Lilien aus Gold und Edelsteinen bestickt.
Die Neuigkeitenkrämer vom Pont-Neuf hatten das Gerücht in die Welt gesetzt, die neue Königin sei linkisch, hässlich und dumm. Und nun freuten sich alle, zu sehen, dass sie, wenn schon nicht eine wahre Schönheit, mit ihrem perlmuttschimmernden Teint, ihren großen blauen Augen und ihrem feinen hellgoldenen Haar doch eine durchaus entzückende Herrscherin abgab. Man bewunderte ihre Haltung, ihre vollkommene königliche Würde und die Standhaftigkeit, mit der diese zarte junge Frau die schweren, mit Diamanten, Perlen und Rubinen besetzten Brokatgewänder trug.
Nachdem sie vorbeigezogen war, wurden die Absperrungen weggenommen, und die Menge ergoss sich wie entstautes Wasser in die Straße.
Nach diesem ganzen Staunen waren jetzt alle erschöpft.
Im Hôtel de Beauvais ließen sich die königlichen Gäste an einen großen Tisch geleiten, wo die erlesensten Speisen und Getränke angerichtet worden waren, um ihren Hunger und Durst zu stillen.
Anmerkungen
1 Titel des französischen Thronerben. (Anm. d. Übers.)
2 siehe 1. Band, Die junge Marquise.
3 Dieses häufig eingenommene Mittel wurde in Wirklichkeit aus dem Horn eines Narwals hergestellt.
4 Eine hauptsächlich Repräsentationszwecken dienende Leibgarde des Königs. Sie war benannt nach ihrer Waffe, dem Rabenschnabel (»bec-de-corbin«), einer Art Streithammer, und bestand aus zwei Kompanien zu je hundert Adligen. (Anm. d. Übers.)
5 »Mademoiselle« lautete im Ancien Régime der Titel der Tochter von »Monsieur«, dem Bruder des Königs. Da bei der Thronbesteigung Ludwigs XIV. sein Onkel Gaston d’Orléans noch lebte, ging man dazu über, diesen den »Großen Monsieur« zu nennen, während Ludwigs Bruder, dem der Titel eigentlich zustand, als der
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