Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
darauffolgenden Tag füllte sich der Schlosshof kurz vor Mittag mit dem Quietschen der Räder prächtiger Kutschen, Pferdewiehern, lauten Rufen und lebhaftem Stimmengewirr. Der Süden hatte Monteloup erreicht.
Der Marquis d’Andijos, ein sehr dunkelhäutiger Mann mit schmalem Schnurrbart und glühenden Augen, trug eine Rhingrave aus gelber und orangefarbener Seide, die gnädig die Leibesfülle des Lebemannes verhüllte. Er stellte ihnen seine Begleiter vor, von denen zwei bei der Trauung als Zeugen dienen sollten: der Graf de Carbon-Dorgerac und der kleine Baron Cerbalaud.
Im Hof hatte die Familie de Sancé Zinnbecher und Krüge mit Wein aus Chaillé aufgestellt. Die Ankömmlinge kamen fast um vor Durst. Aber nachdem der Marquis d’Andijos einen Schluck getrunken hatte, drehte er sich um und spuckte auf den Boden.
»Beim heiligen Paulinus, Baron, Eure Poitou-Weine empören
meine Zunge! Was Ihr mir da eingeschenkt habt, ist ein saurer Krätzer übelster Sorte. He, Gascogner, bringt die Fässer!«
Seine unumwundene Art, sein singender Akzent und der Knoblauchgeruch in seinem Atem begeisterten den Baron. Er hatte noch Zeiten erlebt, in denen selbst unter Prinzen offen geredet und freimütiger Umgang gepflegt wurde. So hatte man damals, als der Baron seinen Dienst bei König Ludwig XIII. ableistete, im Louvre beobachten können, wie der Herrscher, schockiert über das unzüchtige Dekolleté einer jungen Dame, nach einem Glas Rotwein gegriffen und es in das »Weihwasserbecken des Teufels« geschüttet hatte, wie er es nannte. Während das klatschnasse arme Mädchen in Ohnmacht sank, hatte Pater Wassaut, der Jesuit und Hauskaplan der Königin, mit ernster Miene angemerkt, dass »dieser Busen sicher einen Schluck Wein wert« gewesen sei, was bewies, dass sogar Jesuiten über einen trockenen Humor verfügen konnten.
»Die Geschichte kennen wir schon auswendig!«, flüsterte die kleine Marie-Agnès und stieß Angélique mit dem Ellbogen an.
Aber ihrer Schwester fehlte die Kraft zu lächeln. Seit dem Vortag hatte sie zusammen mit Tante Pulchérie und der Amme so hart gearbeitet, um das alte Schloss in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen, dass sie jetzt völlig erschöpft war und ihre Glieder schmerzten.
Und das war auch besser so. Angélique konnte nicht einmal mehr denken. Sie hatte ihr elegantestes Kleid aus Poitiers angezogen, auch dieses grau, wenngleich mit ein paar blauen Schleifen auf dem Mieder verziert. Ein kleines graues Entchen zwischen all den schillernden, bändergeschmückten Herren. Sie wusste nicht, dass ihr heißes Gesicht, das fest und zart wie eine gerade erst ausgereifte Frucht aus dem großen gestärkten
Spitzenkragen hervorschaute, eine strahlende Zierde bildete. Die Blicke der drei Herren wanderten immer wieder zu ihr zurück und zeigten eine Bewunderung, die zu verbergen ihnen ihr Temperament nicht gestattete. Sie begannen ihr zahlreiche Komplimente zu machen, von denen sie nur die Hälfte verstand, zum einen weil sie so schnell sprachen, aber auch wegen ihres unglaublichen Akzents, der selbst das banalste Wort in einem Strahl von Sonnenlicht aufsteigen ließ.
Muss ich diese Art zu reden von jetzt an etwa mein ganzes Leben hören, fragte sie sich genervt.
Unterdessen rollten die Lakaien große Fässer herbei, die auf Böcke gehoben und unverzüglich angestochen wurden. Kaum war das Loch geschlagen, schob man einen hölzernen Zapfhahn hinein, doch der erste Strahl ließ auf der Erde große hellrot und golden schimmernde Pfützen zurück.
»Saint-Emilion«, verkündete der Graf de Carbon-Dorgerac, der aus Bordeaux stammte, »Sauterne, Médoc...«
Er erklärte, dass die Fässer, um dem Nektar der Götter die Stöße einer langen Reise zu ersparen, in Bordeaux auf ein Schiff verladen und sicher vertäut in dessen Laderaum an die Mündung der Sèvre-Niortaise gebracht worden seien. Von Marcus, einem hübschen Hafen, aus waren die flachen Kähne der Sümpfe, die mit einer Stange vorwärtsgestoßen wurden, den gewundenen Fluss hinaufgefahren, zwischen den kleinen Inseln und den Ufern des »Grünen Venedig« hindurch, wo sie auf Wohnsitze und Schlösser trafen, deren Füße von Wasser umspült wurden und deren Stirn dem grünen Laub zugewandt war. Den gastfreundlichen Bewohnern hatte man ein paar Pfänder aus dem Reich der Sonne dagelassen, die den wässrigen Charme ihrer Jahreszeiten mit neuem Licht erfüllen würden. In Niort angekommen und dem Ziel ihrer Reise nicht mehr fern, waren die
Weitere Kostenlose Bücher