Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Dorfes, ihn erduldet zu haben.
Die Menschen bauten die niedergebrannten Häuser wieder auf. Dazu brauchten sie nicht lange: Mit Stroh und Schilf vermischter Schlamm ergab einen recht haltbaren Stampflehm. Man brachte die Ernte ein, die nicht geplündert worden war, und sie war gut, was viele tröstete. Nur zwei junge Mädchen, eine davon Francine, erholten sich nicht von der Gewalt, die ihnen die Räuber angetan hatten. Sie bekamen hohes Fieber und starben.
Es hieß, die berittene Polizei von Niort habe ein paar Männer hinter der plündernden Bande hergeschickt, die isoliert und schlecht geführt zu sein schien.
So änderte der Überfall auf die Ländereien des Barons de Sancé nicht viel am gewohnten Leben im Schloss. Man hörte höchstens den alten Großvater häufiger über das Unheil schimpfen, das der Tod des guten Königs Heinrich IV. und die Aufmüpfigkeit der Protestanten mit sich gebracht hatten.
»Diese Leute verkörpern den Geist des Aufruhrs, mit dem sie ein Königreich zerstören. Ich habe einst Monsieur de Richelieus harte Haltung ihnen gegenüber missbilligt, aber in Wirklichkeit war er noch nicht hart genug.«
Angélique und Gontran, an diesem Tag das einzige Publikum
für die Tiraden ihres Großvaters, wechselten einen verschwörerischen Blick. Der gute Großvater hatte nicht die leiseste Ahnung von der gegenwärtigen Lage des Landes! Alle seine Enkel liebten den greisen Baron, aber seine veralteten Ansichten teilten sie nur selten.
»Diese Räuber waren keine Hugenotten, Großvater«, wagte der kleine Junge, der demnächst zwölf Jahre alt werden würde, einen Einwand. »Das waren Katholiken, heißt es, Deserteure aus den ausgehungerten Armeen, Fremde, denen man keinen Sold gezahlt hatte, aber auch Bauern, die durch die Kämpfe ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben.«
»Das ist noch lange kein Grund, hierher zu kommen. Und du kannst sagen, was du willst, du wirst mir nicht einreden, dass sie nicht von den Protestanten unterstützt worden sind. Zu meiner Zeit bezahlte die Armee ihre Truppen schlecht, das gebe ich zu, aber immerhin regelmäßig. Glaub mir, diese ganzen Unruhen werden von England oder Holland aus geschürt. Diese Leute treten immer häufiger öffentlich auf und rotten sich zusammen, vor allem, weil das Edikt von Nantes ihnen gegenüber viel zu nachsichtig gewesen ist, indem es ihnen nicht nur das Recht auf ihren Glauben zugesteht, sondern auch noch die gleichen bürgerlichen Ehrenrechte wie den Katholiken …«
»Was sind das für Rechte, die man den Protestanten gelassen hat, Großvater?«, fragte Angélique unvermittelt.
»Du bist noch zu jung, um das zu verstehen, kleines Mädchen«, antwortete der alte Baron. »Die bürgerlichen Ehrenrechte«, fügte er hinzu, »sind etwas, das man den Menschen nicht nehmen kann, ohne dass sie ihre Ehre verlieren.«
»Dann ist es also kein Geld«, entgegnete die Kleine.
Der alte Edelmann lobte sie.
»So ist es, Angélique, du verstehst wirklich vieles, für das du eigentlich noch nicht alt genug bist.«
Aber Angélique war der Meinung, dass dieses Thema noch einiger Erklärungen bedurfte.
»Also wenn die Räuber uns ganz und gar ausplündern und uns nackt zurücklassen, dann haben wir trotzdem immer noch unsere bürgerlichen Ehrenrechte?«
»Ganz genau, Kleines«, antwortete ihr Bruder.
Aber in seiner Stimme schwang eine leise Ironie mit, und sie fragte sich, ob er sich über sie lustig machte.
Niemand wusste so recht, wie man Gontran einschätzen sollte. Er redete wenig und lebte sehr zurückgezogen. Da sein Vater weder einen Hauslehrer einstellen noch ihn auf eine Klosterschule schicken konnte, beschränkte sich seine Ausbildung auf die wenigen Grundkenntnisse, die ihm der Dorfschullehrer und der Pfarrer beibrachten. Meistens zog er sich in sein Zimmer unterm Dach zurück, um dort rote Schildläuse zu zerquetschen, farbigen Ton zu kneten und eigenartige Kompositionen zu schaffen, die er »Gemälde« oder »Bildnisse« nannte. Obwohl er wie alle Kinder der Familie de Sancé recht nachlässig war, was seine Erscheinung betraf, warf er Angélique häufig vor, ein Wildfang zu sein und sich nicht ihrem Stand gemäß zu betragen.
»Du bist gar nicht so dumm, wie du aussiehst«, fügte er noch hinzu, was durchaus als Kompliment gemeint war.
Seit einer kleinen Weile horchte der alte Baron in den Hof hinaus, von wo laute Stimmen hereinschallten, die sich mit dem Gackern der aufgeschreckten Hühner vermischten. Dann folgten
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