Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
viele Käselaibe und Schinken und sogar das kostbare, abgezählte Geld!
Paulette weinte und schrie immer noch.
»Zu sechst sind diese Kerle über mich hergefallen!«
»Sei still«, fuhr ihr Vater sie an. »So oft wie du mit den jungen Burschen im Gebüsch verschwindest, hat es dir wahrscheinlich noch gefallen. Aber unsere Kuh war trächtig! Die finde ich nicht so schnell wieder wie du einen Verehrer.«
»Wir müssen weg von hier«, sagte Nicolas’ Mutter, die immer noch die ohnmächtige Francine im Arm hielt, »vielleicht kommen noch ein paar Nachzügler hinterher.«
»Lasst uns mit den restlichen Tieren in den Wald gehen. Das haben wir früher auch immer gemacht, wenn Richelieus Armeen durchgezogen sind.«
»Oder nach Monteloup.«
»Nach Monteloup? Dort sind sie doch bestimmt gerade!«
»Dann zum Schloss«, schlug jemand vor.
Alle stimmten ihm zu.
»Ja, lasst uns zum Schloss gehen.«
Der alte Instinkt trieb sie zum herrschaftlichen Schloss, in den Schutz der Mauern und Wehrtürme ihres Herrn, in deren Schatten sie jahrhundertelang geschuftet hatten.
Angélique, die immer noch den Säugling auf dem Arm trug, spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog.
Unser Schloss, dachte sie bei sich. Es ist halb verfallen. Wie sollen wir diese armen Leute beschützen? Wer weiß, ob die Räuber nicht auch zu uns gekommen sind? Und der alte Guillaume mit seiner Pike hat sie bestimmt nicht am Eindringen hindern können.
»Ja«, sagte sie laut, »kommt mit ins Schloss. Aber wir dürfen nicht über die Straße gehen und auch nicht die Abkürzung durch die Felder nehmen. Wenn sich die Räuber wirklich dort herumtreiben, würden wir es nicht bis zum Tor schaffen. Der einzige Weg führt durch das trockengelegte Sumpfgelände und dann durch den großen Graben hintenherum ins Schloss. Es gibt da eine kleine Tür, die nie benutzt wird, aber ich weiß, wie man sie öffnet.«
Sie verschwieg, dass diese halb von den Trümmern eines unterirdischen Ganges versperrte Tür ihr mehr als einmal zur Flucht verholfen hatte und in einem der Verliese, die die gegenwärtigen Herren von Sancé schon fast vergessen hatten, das Versteck lag, in dem sie ihre Pflanzen trocknete und Liebestränke zubereitete wie die Hexe Mélusine.
Die Bauern hatten ihr vertrauensvoll zugehört. Manche hatten sie vorher noch gar nicht bemerkt, aber sie waren so sehr daran gewöhnt, Angélique als eine lebende Verkörperung der Feen zu betrachten, dass ihr plötzliches Auftauchen in dieser dunklen Stunde sie kaum verwunderte.
Eine der Frauen nahm ihr den Säugling ab. Danach führte Angélique die kleine Gruppe über einen langen Umweg durch die Sümpfe, unter der glühenden Sonne an dem steil aufragenden Felssockel entlang, der sich einst über das Wasser der Meeresbucht erhob. Das Gesicht von Staub und Schmutz verdreckt, ermunterte sie die Dörfler immer wieder zum Weitergehen.
Sie ließ sie durch die schmale, nicht mehr genutzte Tür ins Schloss. Dort empfing sie die wohltuende Kühle der unterirdischen
Bereiche, aber in der Dunkelheit begannen die Kinder zu weinen.
»Ganz ruhig, keine Angst«, beruhigte sie Angélique. »Bald sind wir in der Küche, und Nounou Fantine gibt euch Suppe.«
Die Erwähnung von Nounou Fantine schenkte allen neuen Mut. Hinter der Tochter des Barons stolperten die wimmernden Bauern die halb eingestürzten Treppen hinauf und durchquerten mit Schutt angefüllte Säle, in denen Ratten vor ihnen die Flucht ergriffen. Angélique ging, ohne zu zögern, voraus. Das war ihr Reich.
Als sie die große Eingangshalle erreichten, hörten sie Stimmengewirr, das sie für einen Moment erschreckte. Aber genauso wenig wie die Bauern wagte Angélique sich vorzustellen, dass das Schloss angegriffen worden sein könnte. Je näher sie der Küche kamen, desto stärker wurde der Duft von Suppe und warmem Wein. Es mussten zweifellos viele Menschen dort versammelt sein, aber es waren keine Räuber, denn sie unterhielten sich leise, gemessen und sogar traurig. Andere Bauern aus dem Dorf und von den nahe gelegenen Meierhöfen hatten bereits Zuflucht in den alten, baufälligen Mauern gesucht.
Als die Neuankömmlinge hereinkamen, erhob sich ein entsetztes Geschrei, denn man hielt sie für Räuber. Doch als die Amme Angélique entdeckte, stürzte sie auf sie zu und riss sie in die Arme.
»Mein Herzchen! Sie lebt! Danke, Herr! Heilige Radegunde! Heiliger Hilarius! Danke.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben versteifte sich Angélique gegen diese stürmische
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