Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Großvaters antworteten, breitete die überglückliche Amme eine schöne Decke über den Tisch und brachte Pastetentöpfe, Brot, Butter und einen ganzen Kessel voll früher Kastanien herein. Die Augen der beiden jungen Burschen leuchteten auf. Ohne abzuwarten, setzten sie sich an den Tisch und aßen mit einer Gier, die Angélique mit Bewunderung erfüllte.
Trotzdem fiel ihr auf, dass sie hager und bleich aussahen und ihre Kleider aus schwarzer Serge an den Ellbogen und Knien fadenscheinig waren. Beim Reden senkten sie den Blick. Keiner von ihnen schien sie wiedererkannt zu haben. An Raymonds Gürtel hing ein hohles Horn. Sie fragte ihn, was das sei.
»Da kommt Tinte hinein«, antwortete er herablassend.
»Ich habe meines weggeworfen«, ergänzte Josselin.
Ihre Eltern kamen mit den Leuchtern herein. Trotz seiner Freude war der Baron ein wenig beunruhigt.
»Wieso seid Ihr hier, meine Söhne? Im Sommer seid Ihr nicht gekommen. Ist jetzt nicht eine seltsame Zeit für Ferien?«
»Wir sind im Sommer nicht gekommen«, erklärte Raymond, »weil wir keinen Sol hatten, um ein Pferd zu mieten oder auch nur einen Platz in der Postkutsche von Poitiers nach Niort zu bezahlen.«
»Und wenn wir jetzt hier sind, liegt das nicht daran, dass wir heute reicher wären...«, fügte Josselin hinzu.
»… sondern weil die Patres uns hinausgeworfen haben«, schloss Raymond.
Im Raum herrschte betretenes Schweigen.
»Beim heiligen Dionysius«, rief der Großvater, »was habt Ihr angestellt, meine Herren, dass man Euch einen solchen Schimpf antut?«
»Gar nichts, aber die Augustiner haben schon seit fast zwei Jahren kein Kostgeld mehr für uns bekommen. Sie haben uns zu verstehen gegeben, dass andere Schüler mit großzügigeren Eltern unsere Plätze benötigten...«
Baron Armand begann auf und ab zu marschieren, bei ihm stets ein Zeichen für höchste Erregung.
»Aber das ist doch nicht möglich. Wenn Ihr Euch nichts habt zuschulden kommen lassen, können sie Euch nicht einfach so vor die Tür setzen: Ihr seid schließlich Adlige! Das wissen die Patres doch …«
Josselin, der Ältere, verzog hämisch das Gesicht.
»Ja, das wissen sie ganz genau, und ich kann Euch sogar die Worte wiederholen, die uns der Ökonomus als einzige Wegzehrung mitgegeben hat: Er hat gesagt, die Adligen seien die schlechtesten Zahler, und wenn sie kein Geld hätten, müssten sie eben ohne Latein und Wissenschaften auskommen.«
Der alte Baron richtete seinen krummen Oberkörper auf.
»Es fällt mir schwer, zu glauben, dass Ihr mir die Wahrheit sagt: Vergesst nicht, dass Kirche und Adel zusammengehören und die Klosterschüler die zukünftige Zierde des Staates bilden. Das wissen die guten Patres besser als jeder andere!«
»Die Patres haben uns gelehrt, dass Gott die Seinen zu wählen wisse, und vielleicht hat er uns ja nicht für würdig befunden...«, antwortete Raymond, der Jüngere von beiden, der in den geistlichen Stand eintreten wollte, den Blick starr auf den Boden gerichtet.
»Hör auf mit deinem blöden Geschwätz, Raymond«, sagte sein Bruder. »Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Wenn du unbedingt ein elender Bettelmönch werden willst, meinetwegen! Aber ich bin der Älteste, und ich bin genau
der gleichen Ansicht wie Großvater: Die Kirche schuldet uns Adligen Respekt! Wenn sie stattdessen die Söhne von gewöhnlichen Bürgern und Krämern vorzieht – soll sie doch. Sie hat ihren Untergang gewählt und wird zugrunde gehen!«
Die beiden Barone protestierten wie aus einem Mund. »Josselin, du hast nicht das Recht, so gotteslästerliche Reden zu führen.«
»Ich lästere nicht, ich stelle bloß fest. In meiner Klasse, in der ich der Jüngste und der Zweitbeste von dreißig Schülern bin, gibt es ganz genau fünfundzwanzig Söhne von Bürgern und Beamten, die pünktlich zahlen, und fünf Adlige, von denen nur zwei regelmäßig das Kostgeld schicken...«
Armand de Sancé klammerte sich an diese letzte Ehrenrettung.
»Dann sind also noch zwei weitere Söhne von Adligen nach Hause geschickt worden?«
»Keineswegs. Die Eltern von denen, die nicht zahlen, sind hochstehende Herrschaften, vor denen die Patres Angst haben.«
»Ich verbiete dir, so über deine Erzieher zu reden«, entgegnete Baron Armand.
»Zum Glück ist unser guter König tot und muss solche Dinge nicht mehr erleben!«, schimpfte sein alter Vater unterdessen vor sich hin.
»Ja, zum Glück, Großvater, das sagt Ihr ganz richtig«, höhnte Josselin.
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