Angélique - Die junge Marquise - Golon, A: Angélique - Die junge Marquise - Angélique 01. Marquise des Anges
Maultiere und Esel!
Ich frage mich wirklich, ob es nicht besser für uns wäre, wenn euer Vater den König bäte, wieder in seinen Dienst aufgenommen zu werden. Am Hof kann man ein Vermögen machen, wenn man dem König gefällt. Das wäre allemal besser, als sich an diese Ländereien, diese Bauern und diese anmaßenden Pächter zu klammern, die glauben, sie könnten sich alles erlauben... Diesmal bin ich fest entschlossen, mit eurem Vater darüber zu reden.«
Angélique und Gontran lauschten ihrer Mutter verwundert. Sie waren es nicht gewohnt, sie so lange und mit solcher Entrüstung reden zu hören. Meistens war sie sanft, sogar zurückhaltend, und von nachsichtigem Wesen. Aber die Kränkung, die man ihren beiden ältesten Söhnen zugefügt hatte, hatte sie ihre Gelassenheit verlieren lassen und eine Bitterkeit wachgerufen, die sich im Laufe der Jahre, der Kümmernisse und der Schwierigkeiten in ihr angesammelt haben musste.
Plötzlich wurde es Madame de Sancé bewusst, dass sie sich vor ihrem Sohn und ihrer Tochter ereifert hatte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Verlegen wichen Gontran und Angélique ihrem Blick aus. Obwohl alle Kinder der Familie de Sancé als Wildfänge aufgewachsen waren, vermieden sie allzu offene Gefühlsäußerungen, und diese ungewohnten Vorwürfe ihrer Mutter waren ihnen unangenehm. Madame de Sancé bemühte sich, die Fassung wiederzugewinnen.
»Was macht ihr überhaupt hier drinnen, Kinder? Draußen scheint noch die Sonne. Ihr tätet besser daran, durch die Felder zu laufen …«
»Vor fünf Minuten habt Ihr uns noch vorgeworfen, uns wie Bauernlümmel zu benehmen, Mutter«, bemerkte Gontran gereizt, »und jetzt sollen wir plötzlich draußen mit den Hirten herumtoben.«
»Das ist mir immer noch lieber, als dass ihr untätig zu Hause herumhockt oder euch in eure Verstecke verkriecht, und ich nicht weiß, was ihr dort treibt. Diese Zurückgezogenheit tut in eurem Alter nicht gut.«
»Ich male und schnitze Skulpturen«, erklärte Gontran mit leisem Stolz.
Seine Augen leuchteten auf.
»Soll ich Euch meine Arbeiten zeigen?«
Ohne die Antwort abzuwarten, lief er hinaus in den Gang, und seine Mutter und seine Schwester folgten ihm mechanisch.
Gontran rannte zu seiner Truhe und holte ein Stück Holz und ein Blatt Papier heraus. Er hatte bisher noch nie angeboten, seiner Familie seine Kunstwerke zu zeigen. Aber die Worte seiner Mutter hatten ihn getroffen, auch wenn es ihm selbst nicht bewusst war, und er verspürte das Bedürfnis, sie auf andere Gedanken zu bringen.
»Schaut her, das ist der alte Guillaume.«
Als gute Mutter beugte sich die Baronin über das geschnitzte Stück Birnbaumwurzel, das ihr Sohn ihr hinhielt. Die Situation überforderte sie. Was sollte sie bloß mit diesen ungeduldigen, aufsässigen Kindern tun, die es nicht lassen konnten, eigene Vorstellungen von ihrer Zukunft zu entwickeln?
Sie musste zugeben, dass das Gesicht des alten Guillaume eine frappierende Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Soldaten aufwies, aber warum wollte Gontran unbedingt Maler werden? Das war keine angemessene Beschäftigung für einen Edelmann, nicht einmal für einen jüngeren Sohn. Madame de Sancé wusste zwar, dass am Hof oder in Rom berühmte Künstler lebten, aber im Geiste stellte sie diese auf die gleiche Stufe wie Schauspieler und Kirmesgaukler. Sie kannte keinen einzigen Adligen, der Maler gewesen wäre.
»Und das hier ist ein Porträt von Angélique«, sagte der Junge und reichte ihr das Blatt Papier.
Die bunte Zeichnung zeigte einen Piraten mit jugendlichem, von einem flammenden Haarschopf eingerahmtem Gesicht und einem federgeschmückten Filzhut auf dem Kopf. In der einen Hand hielt er eine Pistole, und mit der anderen schwang er einen Säbel.
»Wie kannst du nur behaupten, dass sei deine Schwester?«, widersprach seine Mutter. »Angélique ist so hübsch. Wenn Gott will, wird sie vielleicht eine gute Partie finden und in eine angesehene Familie einheiraten.«
»Und was ist, wenn Gott beschließt, dass sie die Anführerin einer Räuberbande werden soll?«
»Gontran! Manchmal frage ich mich, ob du noch ganz bei Verstand bist. Angélique, hast du denn gar nichts gegen das einzuwenden, was dein Bruder hier behauptet?«
Angélique lächelte. In Wahrheit fühlte sie sich geschmeichelt, dass Gontran sie als Räuberhauptmann sah, aber sie
wollte keine weitere Diskussion vom Zaun brechen, die ihre Mutter bekümmert hätte.
Sie drückte ihre Nase gegen das Fenster und hielt
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