Angélique - In den Gassen von Paris
Angélique sich schließlich ein, dass die Polackin nicht verhaftet worden sei, und dieser Gedanke beruhigte sie ein wenig. Tief aus ihrer verängstigten Seele stieg ein Flehen auf, und Fetzen halb vergessener Gebete kamen ihr automatisch über die Lippen.
Erbarme dich ihrer! Jungfrau Maria, beschütze sie … ich schwöre, betete sie ein ums andere Mal, wenn meine Kinder gerettet werden, dann werde ich aus diesem erbärmlichen Sumpf aufsteigen… Ich werde vor diesen Verbrechern
und Dieben fliehen, und ich werde versuchen, mir meinen Lebensunterhalt mit meiner Hände Arbeit zu verdienen …
Da kam ihr die Blumenhändlerin in den Sinn, und sie begann, Pläne zu schmieden. So vergingen die Stunden weniger langsam.
Am Morgen vernahmen sie lautes Schlüsselgerassel, und dann drehten sich die Schlüssel, und die Tür ging auf. Ein Wächter leuchtete mit einer Fackel in das Verlies. Doch das Tageslicht, das durch die Schießscharte in der zwei Klafter dicken Mauer hereinfiel, war so schwach, dass man in der Kerkerzelle nicht allzu viel erkennen konnte.
»He, da sind Marquisen, Leute«, schrie der Wächter freudig erregt. »Setzt euch in Bewegung. Das wird eine schöne Ernte.«
Drei weitere Wachsoldaten traten ein und steckten die Fackel in eine Halterung an der Wand.
»Auf, meine Hübschen. Ihr werdet doch brav sein, oder?«
Einer der Männer zog eine Schere unter seinem Wams hervor.
»Nimm deine Haube ab«, befahl er der Frau, die sich in der Nähe der Tür befand. »Puh, graues Haar. Ein paar Sous bekommen wir wenigstens dafür. Ich kenne einen Barbier in der Nähe des Place Saint-Michel, der daraus billige Perücken für alte Schreiber fertigt.«
Er schnitt der Frau das graue Haar ab, knotete es mit einem Stück Schnur zusammen und warf es in einen Korb. Seine Begleiter nahmen die Köpfe der anderen Gefangenen in Augenschein.
»Bei mir lohnt es nicht«, erklärte eine von ihnen. »Ist noch nicht lange her, dass ihr mich geschoren habt.«
»Wohl wahr«, meinte der Fröhliche unter den Bütteln.
»Ich erkenne dich wieder, Mütterchen. Ha, ha, anscheinend gefällt dir diese Herberge!«
Ein Soldat war auf Angélique zugetreten. Sie spürte, wie er ihr grob das Haar abtastete.
»He, Freunde«, rief er, »da haben wir etwas ganz Feines. Haltet mal die Fackel hierher, damit wir uns das genau ansehen können.«
Nachdem der Soldat Angéliques Haube aufgeknotet und ihr Haar befreit hatte, beleuchtete die Harzfackel ihre dichte, herrliche Mähne, deren warme Farbe von hellen Strähnen aufgelockert wurde. Er stieß einen bewundernden Pfiff aus.
»Wunderbar! Natürlich ist es kein Blond, aber es hat einen schönen Schimmer. Dieses Haar können wir an Sieur Binet in der Rue Saint-Honoré verkaufen. Er schaut nicht auf den Preis, sondern auf die Qualität. ›Nehmt eure Ungeziefernester nur wieder mit‹, sagt er jedes Mal zu mir, wenn ich ihm das Fell von Gefangenen bringe. ›Aus Haaren, die schon von Würmern zerfressen sind, mache ich keine Perücken! ‹ Aber dieses Mal wird er nicht Nein sagen können.«
Angélique fuhr mit den Händen an ihren Kopf. Man würde ihr doch wohl nicht das Haar abschneiden? Das war vollkommen undenkbar!
»Nein, nein, nur das nicht«, flehte sie. Doch eine harte Faust hielt ihre Handgelenke fest.
»Komm schon, meine Schöne, wenn du deine Mähne behalten willst, hättest du nicht ins Châtelet kommen dürfen. Verstehst du, wir brauchen unseren kleinen Nebenverdienst.«
Mit lautem, metallischem Klirren fuhr die Schere durch die goldbraunen Locken, die Barbe einst so andächtig gebürstet hatte.
Als die Soldaten fort waren, strich sich Angélique mit zitternder Hand über ihren kahlen Nacken. Ihr Kopf schien ihr kleiner und leichter geworden zu sein.
»Nicht weinen«, meinte eine der Frauen. »Das wächst schon wieder, wenn du dich nicht wieder fangen lässt. Denn die Männer von der Wache schneiden ab, was sie nur können. Bei all diesen Gecken, die Perücke tragen wollen, bringt Haar in Paris einen guten Preis ein.«
Die junge Frau gab keine Antwort und band ihre Haube wieder zu. Ihre Begleiterinnen glaubten, sie weine, weil der Zwischenfall sie erschüttert hatte. Dabei verschwamm das Geschehene für sie bereits. Das hatte schließlich keine Bedeutung. Nur eines zählte für sie: das Schicksal ihrer Kinder.
Kapitel 10
D ie Stunden verstrichen furchtbar langsam. Der Kerker, in den man die Gefangenen geworfen hatte, war so klein, dass man kaum Luft bekam.
»Es ist
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