Angélique - In den Gassen von Paris
ein gutes Zeichen, dass man uns in diese kleine Zelle gesteckt hat«, meinte eine der Frauen. »Man nennt sie ›zwischen-zwei-Türen‹. Darin sperrt man die Leute ein, bei denen man nicht so genau weiß, ob sie offiziell verhaftet sind. Als man uns eingesackt hat, hatten wir schließlich nichts verbrochen. Wir waren auf dem Jahrmarkt, so wie alle Leute. Und der Beweis dafür ist, dass man uns nicht durchsucht hat, weil auch die Aufseherinnen des Châtelet dort waren und sich auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain unterhalten haben.«
»Die Polizei war ebenfalls dort«, bemerkte eines der jungen Mädchen verbittert.
Angélique berührte den Dolch, den sie unter den Kleidern trug; einen ähnlichen Dolch, wie ihn Rodogone auf Nicolas geschleudert hatte.
»Was für ein Glück, dass sie uns nicht gefilzt haben«, sagte die Frau noch einmal. Wahrscheinlich verbarg sie ebenfalls eine Waffe oder einen schmalen Geldbeutel mit ein paar Écus darin.
»Keine Sorge, das kommt schon noch«, sagte ihre Gefährtin.
Die meisten Frauen waren nicht sehr optimistisch gestimmt. Sie erzählten Geschichten über Gefangene, die man zehn Jahre lang im Gefängnis vergessen hatte, ehe man sich an sie erinnerte. Diejenigen, die das Châtelet schon kannten, beschrieben die Arten von Kerkern, die sich in der düsteren Festung befanden. Da gab es die Zelle »Aus-mit-der-Gemütlichkeit«, die voller Unrat und Getier war und wo die Luft so dick war, dass eine Kerze verlosch; »die Metzgerei«, die ihren Namen daher hatte, dass man dort die ekelhaften Ausdünstungen der großen benachbarten Schlachterei einatmete; »die Ketten«, einen großen Raum, in dem die Gefangenen aneinandergekettet waren; dann noch »die Barbarei«, »die Höhle« und noch andere wie »den Schacht« und »die Gruft«. Letztere Zelle hatte die Form eines umkehrten Kegels, sodass die Gefangenen ständig die Füße im Wasser hatten und sich weder richtig aufrichten noch richtig hinlegen konnten. Für gewöhnlich starben sie nach vierzehn Tagen. Nur mit gesenkter Stimme sprach man schließlich von den »Zellen der Vergessenen«, dem unterirdischen Kerker, aus dem niemand zurückkehrte.
Graues Licht drang durch die vergitterte Schießscharte. Unmöglich, zu erraten, wie spät es war. Eine alte Frau nahm ihre schief getretenen Schuhe ab, zog die Nägel aus der Sohle und schob sie mit dem Spitzen nach außen, wieder hinein. Diese Waffe zeigte sie ihren Kameradinnen und riet ihnen, ebenso zu verfahren, um die Ratten erschlagen zu können, die im Lauf der Nacht kommen würden.
Doch gegen Mittag wurde knarrend die Tür geöffnet, und Hellebardiere ließen die Gefangenen heraustreten. Durch lange Flure führten sie die Frauen in einen großen Saal, der mit blauen, mit gelben Lilien geschmückten Wandteppichen ausgestattet war.
Im Hintergrund befand sich auf einem halbkreisförmigen Podium eine Art Katheder aus geschnitztem Holz. Darüber hingen ein Gemälde, das den gekreuzigten Christus darstellte, und ein kleiner Baldachin aus Gobelinstoff.
Dort saß ein Mann in einer schwarzen Robe mit weißem Beffchen und weißer Perücke: der Profoss, der Oberrichter, von Paris, und neben ihm sein Stellvertreter.
Gerichtsdiener, mit Stöcken bewaffnete Sergeanten und Soldaten der königlichen Wache umgaben die Frauen und Mädchen. Sie wurden zum Fuß des Podiums geschoben und mussten vor einen Tisch treten, an dem ein Justizbeamter ihre Namen niederschrieb.
Angélique war wie vor den Kopf gestoßen, als man sie nach ihrem Namen fragte. Sie hatte keinen Namen mehr! Schließlich behauptete sie, Anne Sauvert zu heißen, nach einem Dorf in der Umgebung von Monteloup, dessen Name ihr plötzlich eingefallen war.
Das Urteil war rasch gefällt. Das Châtelet war an diesem Tag überfüllt. Man musste die Insassen rasch sortieren. Nachdem er jeder der Angeklagten ein paar Fragen gestellt hatte, las der Vertreter des Profoss die Namensliste vor, die man ihm überreicht hatte, und erklärte, alle genannten Personen würden öffentlich ausgepeitscht werden. Anschließend würden sie zum Armenhaus geführt, wo fromme Frauen sie lehren würden, zu nähen und zu Gott zu beten.
»Ach, da sind wir rasch wieder draußen«, flüsterte eines der Mädchen Angélique zu. »Das Armenhaus ist kein Gefängnis. Sie werden uns zwar dort einsperren, aber nicht bewachen. Wir werden ganz leicht entwischen können.«
Anschließend wurde eine Gruppe von etwa zwanzig Frauen in einen großen Saal im
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