Angélique - In den Gassen von Paris
um das Viertel errichtet hatte.
Calembredaines Leute versammelten sich um den Tisch im großen Saal, und Cul-de-Bois ereiferte sich ganz fürchterlich.
»Seit Monaten sehe ich dieses Elend schon kommen. Und du bist schuld daran, Calembredaine! Dein Mädchen hat dich um den Verstand gebracht. Du weißt nicht mehr, wie man kämpft, und die anderen Gauner kriegen Oberwasser. Sie spüren, dass du an Boden verlierst, und werden sich auf Rodogones Seite schlagen, um dich zu stürzen. Kürzlich abends habe ich Mathurin-Bleu gesehen …«
Nicolas stand vor dem Feuer, und seine mächtige Gestalt
zeichnete sich schwarz ab. Er wusch sich den blutüberströmten Oberkörper, wo er von einer Espignole 5 getroffen worden war. Er brüllte sogar noch lauter als Cul-de-Bois.
»Wir wissen alle genau, dass du der Verräter in der Bande bist; dass du alle Anführer zusammenbringst, dass du sie aufsuchst und dich anschickst, den Platz des Großen Coesre einzunehmen. Aber nimm dich in Acht! Ich werde Rolin-le-Trapu warnen …«
»Bastard! Aber gegen mich kommst du nicht an!«
Angélique wurde verrückt bei dem Gedanken, das Raubtiergebrüll der beiden könnte Florimond wecken und ihm Angst einjagen.
Sie flog nur so die Treppen zu dem runden Gemach hinauf. Aber die kleinen Engel schlummerten friedlich. Cantor sah aus wie ein Engelchen von einem holländischen Gemälde. Florimonds Wangen waren voller geworden. Wenn seine dunklen Augen im Schlaf geschlossen waren, zeigte er einen kindlich-glücklichen Ausdruck.
Das Geschrei hörte nicht auf.
Das muss ein Ende haben, dachte Angélique und zog die schief in den Angeln hängende Tür zu, so gut sie konnte. Es muss aufhören.
Sie vernahm Cul-de-Bois’ heisere Stimme.
»Mach dir nichts vor, Calembredaine: Wenn du zurückweichst, ist es aus mit dir. Rodogone wird keine Gnade walten lassen. Er will nicht nur den Jahrmarkt, sondern auch dein Mädchen, das du ihm auf dem Friedhof der unschuldigen Kindlein abspenstig gemacht hast. Er will sie um jeden Preis, und er kriegt sie nur, wenn du verschwindest. Jetzt heißt es, er oder du!«
Nicolas schien sich zu beruhigen.
»Und was soll ich anstellen? All seine Leute, seine verfluchten Ägypter, stehen da vor unserer Nase. Nach dem Schlag, den wir eingesteckt haben, brauchen wir gar nicht dagegen anzugehen. Wir würden bloß alle ins Gras beißen.«
Angélique ging in das Zimmer zurück, ergriff einen Umhang und setzte sich die rote Gesichtsmaske auf, die sie zusammen mit anderen kleinen Gegenständen in einer Schatulle aufbewahrt hatte.
So zurechtgemacht stieg sie in die Halle hinunter, die von lauten Beschimpfungen widerhallte.
Der Streit zwischen Calembredaine und Cul-de-Bois nahm stürmische Formen an. Der Bandenführer hätte das beinlose Männlein auf seinem Holzteller mühelos zerschmettern können. Aber Cul-de-Bois’ Einfluss war so stark, dass tatsächlich er die Lage beherrschte.
»Was soll dieser Mummenschanz?«, knurrte Nicolas. »Wohin willst du?«
»Ich will Rodogones Truppen zum Abzug bewegen. In einer Stunde ist alles sauber, Messires, und ihr könnt eure Quartiere wieder beziehen.«
Calembredaine rief Cul-de-Bois als Zeugen an.
»Findest du nicht auch, dass sie sich immer verrückter gebärdet?«
»Ja, aber wenn sie dadurch auf gute Ideen kommt, lass sie nur machen. Bei dieser verflixten Marquise der Engel weiß man nie! Außerdem hat sie dich zum Pantoffelhelden gemacht, da ist es das Wenigste, wenn sie den Schaden wieder auswetzt.«
Im Dunkel rannte Angélique zur Porte Saint-Jacques und überquerte erst dort die Gräben. Plötzlich ragte einer von
Rodogones Zigeunern vor ihr auf. Auf Deutsch radebrechend, erzählte sie ihm eine komplizierte Geschichte: Angeblich war sie eine Händlerin vom Jahrmarkt in Saint-Germain, die zurück zu ihrem Laden wollte. Er ließ die maskierte Frau, die in einen schwarzen Mantel gehüllt war, vorüber, ohne Verdacht zu schöpfen. Ohne einmal anzuhalten, lief Angélique zu einem befreundeten Schausteller, der drei gewaltige Bären besaß. Sie hatte sowohl die drei Bären und ihren alten Herrn als auch den Knaben, der mit der Bettelschale herumging, für sich gewonnen.
Um der schönen Augen der Besucherin willen war die Sache rasch beschlossen.
Von der Abtei Saint-Germain-des-Prés schlug es zehn Uhr, als Rodogones Männer, die entlang der alten Gräben Wache standen, im schwachen Mondlicht eine gewaltige, knurrende Masse auf sich zukommen sahen. Der Mann, der
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