Angélique - In den Gassen von Paris
Spielzeug und Parfümfläschchen und verfolgte fasziniert den Tierkampf. Zusammen mit den anderen Zuschauern schrie und trampelte sie, als der Keiler, der wie eine schwarze Kugel herumschoss, seine Angreifer durchschüttelte und mit letzter Kraft eine der Doggen, der er den Leib aufgerissen hatte, hochschleuderte.
Mit einem Mal entdeckte sie gegenüber, auf der anderen Seite der Arena, Rodogone.
Er balancierte die Spitze eines langen, schmalen Messers auf den Fingerspitzen und warf es dann. Über die kämpfenden Tiere hinweg zischte die Waffe auf sie zu. Angélique warf sich zur Seite und zog ihren Begleiter mit. Die Klinge flog einen Zoll an Nicolas’ Hals vorbei und schlug wie ein Blitz in die Kehle eines Händlers ein, der Chinoiserien feilhielt. Der Mann wurde von einem Krampf ergriffen, sodass er die Arme hochriss und seinen bunt gefleckten Umhang zurückschlug. Einen Augenblick lang sah er aus wie ein riesiger, auf einer Nadel aufgespießter Schmetterling. Dann erbrach er einen Blutschwall und sackte zusammen.
Und der Jahrmarkt von Saint-Germain explodierte buchstäblich.
Gegen Mitternacht wurde Angélique, zusammen mit einem Dutzend Mädchen und Frauen, von denen zwei zu Calembredaines Bande gehörten, in eine Zelle im Untergeschoss des Châtelet geworfen. Selbst als die schwere Tür sich schon geschlossen hatte, meinte sie noch das hysterische Geschrei der Menge zu hören, das Gebrüll der Bettler und Banditen,
die von Bütteln und Polizisten erbarmungslos zusammengetrieben wurden und gruppenweise vom Jahrmarkt in Saint-Germain ins Gefängnis abtransportiert wurden.
»Jetzt sind wir geliefert«, meinte ein Mädchen. »Das ist mal wieder mein Glück. Ausnahmsweise spaziere ich anderswo herum als in Glatigny, und gleich muss ich mich erwischen lassen. Die sind in der Lage, mich auf die Folterbank zu spannen, weil ich nicht in dem Viertel geblieben bin, das uns angewiesen ist.«
»Tut das weh, die Folterbank?«, erkundigte sich ein halbwüchsiges Mädchen.
»Ach, Herrgott, meine Adern und Nerven fühlen sich immer noch wie Gummi an. Was habe ich geschrien, als der Folterer mich daraufgelegt hat. ›Herr Jesus! Jungfrau Maria, erbarme dich meiner!‹«
»Also mir«, fiel eine andere ein, »hat der Folterknecht ein hohles Horn in den Schlund gesteckt, und dann hat er mir sechs Töpfe kaltes Wasser hineingeschüttet. Wenn es wenigstens Wein gewesen wäre! Ich dachte, ich würde platzen wie eine Schweinsblase. Nachher haben sie mich in die Küche des Châtelet gebracht und vor ein kräftiges Feuer gesetzt, damit ich wieder zu mir kam.«
Angélique hörte die Stimmen, die aus der von widerlichen Gerüchen erfüllten Dunkelheit zu ihr drangen, und nahm die Worte auf, ohne dass diese Details sie in Aufregung versetzt hätten. Ihr war nicht wirklich bewusst, dass man sie während des Verhörs, dem jeder Angeklagte unterzogen werden musste, wahrscheinlich foltern würde. Stattdessen beherrschte sie ein einziger Gedanke: Und die Kinder? Was soll aus ihnen werden? Wer wird sich um sie kümmern? Vielleicht haben die anderen sie ja im Turm vergessen. Die Ratten werden sie fressen.
Schweiß rann über ihre Schläfen, obwohl die Luft in der Zelle eiskalt und feucht war.
Sie kauerte, an die Wand gelehnt und die Arme um die Knie geschlungen, auf einer Unterlage aus verfaultem Stroh und versuchte, nicht zu zittern. Sie suchte nach Argumenten, um sich zu beruhigen.
Bestimmt wird eine der Frauen sich um sie kümmern. Sie sind nachlässig und unfähig, aber trotzdem denken sie daran, ihren Kindern Brot zu geben … Da werden sie auch meine durchfüttern. Wenn dann noch die Polackin da ist, bin ich beruhigt … Und Nicolas wird auf sie aufpassen …
Aber war Nicolas nicht ebenfalls verhaftet worden? Angélique spürte erneut die Panik, die sie empfunden hatte, als sie von Gasse zu Gasse gelaufen war, um der blutigen Auseinandersetzung zu entkommen, aber jedes Mal eine Barriere aus Bütteln und Sergeanten vor sich erblickt hatte.
Angélique versuchte sich zu erinnern, ob die Polackin Zeit gehabt hatte, den Jahrmarkt vor dem Ausbruch des Scharmützels zu verlassen. Als sie sie das letzte Mal gesehen hatte, da hatte sie einen jungen Provinzler, der verängstigt und entzückt zugleich wirkte, zum Seine-Ufer hinuntergezogen. Aber bevor die beiden dort angekommen wären, hätten sie noch an so vielen Ständen anhalten, flanieren oder in eine Weinschenke einkehren können …
Mit aller Macht redete
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