Angélique - In den Gassen von Paris
herauszufinden versuchte, wer da versuchte, ihre Absperrung zu durchbrechen, erhielt einen Tatzenhieb auf die Brust, der ihm das Hemd und ein ordentliches Stück Haut abriss.
Die anderen warteten gar nicht auf eine ausführliche Einladung, sondern sprangen über die Wälle. Einige rannten zur Seine, um ihre Kumpane zu warnen. Doch diese hatten bereits an zwei weiteren Stellen den gleichen unangenehmen Besuch erhalten. Schon befanden sich die meisten Räuber im Wasser und schwammen auf das Ufer zu, wo sich der Louvre befand und wo die Gegend ihrer Gesundheit zuträglicher war. Im offenen Kampf gegen Gauner und alte Soldaten anzutreten und sich womöglich umbringen zu lassen, schreckte keinen Mann, der das Herz am rechten Fleck hatte. Aber keiner von Rodogones Männern hatte Lust, sich mit einem Bären anzulegen, der, wenn er sich auf die Hinterbeine stellte, gut und gern zwei Klafter maß!
Gelassen ging Angélique zur Tour de Nesle zurück und teilte mit, das Viertel sei vollständig von allen unerwünschten Gestalten gesäubert. Calembredaines Generalstab sah sich ein wenig um und musste sich den Tatsachen beugen.
Cul-de-Bois’ unheimliches, hallendes Gelächter ließ die Damen des Viertels hinter ihren Vorhängen erzittern.
»O là, là! Diese Marquise der Engel«, sagte er immer wieder. »Sie vollbringt wahrlich Wunder.«
Aber Nicolas war anderer Meinung.
»Du hast dich auf ihre Seite geschlagen und uns verraten«, schrie er und zerquetschte Angélique fast das Handgelenk. »Du hast dich an Rodogone verkauft.«
Um seine rasende Eifersucht zu besänftigen, musste sie ihm ihre List erklären.
Dieses Mal fiel der Heiterkeitsausbruch des Männleins in der Holzschale so laut aus, dass die Bewohner des Viertels an die Fenster stürzten und drohten, mit ihren Waffen herunterzukommen und diesen Banditen, die ehrlichen Leuten den Schlaf raubten, eine Lektion zu erteilen.
Dem Beinlosen war das gleichgültig. Von Pflasterstein zu Pflasterstein zog er sich quer durch den Faubourg Saint-Germain und lachte dabei aus vollem Halse. Noch jahrelang sollte man sich bei den abendlichen Zusammenkünften der Gauner die Geschichte von den drei Bären der Marquise der Engel erzählen.
Doch auch dieses geniale Manöver konnte die Tragödie nicht verhindern. Hauptmann Desgrez sollte recht behalten. Am Morgen des ersten Oktober wurde er bei Monsieur de Dreux d’Aubraye, Sire von Offémont und de Villiers, dem Polizeipräfekten der Stadt Paris, vorstellig und überzeugte ihn davon, alle verfügbaren Polizeikräfte um den Jahrmarkt von Saint-Germain zusammenzuziehen.
Doch der Tag verlief ruhig. Calembredaines Leute waren die Herren der Menschenmenge, die immer dichter wurde. Bei Sonnenuntergang trafen nach und nach die Kutschen der vornehmen Gesellschaft ein.
Hunderte von Fackeln, die an jedem Stand brannten, verwandelten den Jahrmarkt in einen Märchenpalast.
Angélique war mit Calembredaine zusammen und beobachtete mit ihm einen Tierkampf, in dem zwei Doggen gegen ein Wildschwein antraten. Die Menge, die versessen auf diese grausamen Vorführungen war, drängte sich gegen den Palisadenzaun, mit dem die kleine Arena umgeben war.
Angélique war ein wenig berauscht, nachdem sie an den Getränkeständen Muskatellerwein, Zitronenlimonade und Zimtwasser gekostet hatte. Bedenkenlos und ohne nachzurechnen hatte sie den Inhalt einer Geldbörse, die Nicolas ihr geschenkt hatte, ausgegeben und Marionetten und Kuchen für Florimond gekauft. Nicolas, der vermutete, dass die Polizeispitzel Ausschau nach ihm hielten, hatte sich ausnahmsweise glatt rasiert und Kleidung angelegt, die etwas weniger löchrig war als sein üblicher Mummenschanz. Mit seinem breitkrempigen Hut, der die stechenden Augen verbarg, wirkte er wie ein einfacher Bauer, der sich trotz seiner Armut auf dem Jahrmarkt amüsieren will.
Hier vergaß man alles andere. Die Lichter spiegelten sich in den Augen der Menschen, und jeder dachte an schöne Jahrmärkte, die er in seiner Kindheit in Marktflecken und Dörfern erlebt hatte.
Nicolas hatte den Arm um Angéliques Taille gelegt. Er hatte eine ganz eigene Art, sie festzuhalten, die ihr den Eindruck vermittelte, in einen dieser Eisenringe eingeschlossen zu sein, den man Gefangenen um die Mitte legt. Doch dieser
harte Griff war nicht immer unangenehm. Heute Abend fühlte sie sich in der Umschlingung dieses muskulösen Arms zart und biegsam, schwach und beschützt. Sie hatte die Hände voller Bonbons,
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