Angelique und der Koenig
zu benommen, um sich zu widersetzen. Er ließ sich in einen Sessel sinken und schloss die Augen. Sein Gesicht war weiß wie seine Halskrause. Mit zitternden Händen suchte Angélique nach ihrem Nähkasten, entnahm ihm eine Schere, und während sie den blutverkrusteten Stoff aufzuschneiden begann, befahl sie den Mägden, Wasser, Scharpie, Puder, Salben und Branntwein zu holen.
»Trinkt das«, sagte sie, nachdem Philippe wieder ein wenig zu sich gekommen war. Die Wunde schien nicht schlimm zu sein. Eine lange Schmarre zog sich von der rechten Schulter bis zur linken Brust, aber nur die Haut war aufgeritzt. Angélique wusch sie aus und bestrich sie mit Senf und Krebspulver. Philippe ließ sich die Behandlung gefallen, ohne auch nur das Gesicht zu verziehen. Er schien tief in Nachdenken versunken.
»Ich bin neugierig, wie man das Problem der Etikette lösen wird«, sagte er schließlich.
»Welcher Etikette?«
»Bei der Verhaftung. Grundsätzlich hat der Hauptmann der Königlichen Leibgarde die Verhaftung von Duellanten vorzunehmen. Doch der derzeitige Hauptmann der Garde ist kein anderer als der Marquis de Lauzun. Also? Er kann sich schließlich nicht selbst verhaften, nicht wahr?«
»Er kann es um so weniger, als er tot ist«, bemerkte Angélique unwillig.
»Er?... Er hat nicht die kleinste Schramme!«
Die junge Frau starrte ihn sprachlos an.
»Aber Ihr habt mir doch eben gesagt…«, begann sie.
»Ich wollte wissen, ob Ihr in Ohnmacht fallt.«
»Um eines Péguillin de Lauzun willen falle ich nicht in Ohnmacht... Gewiss, ich war bestürzt… Dann seid Ihr also unterlegen?«
»Einer musste sich opfern, um zu verhüten, dass aus einer Albernheit ein Unglück entsteht. Ich wollte die zwanzigjährige Soldatenfreundschaft mit Péguillin nicht zerschlagen um einer... Bagatelle willen.«
Er wurde bleich, sein Blick verschleierte sich.
»Der König nennt Euch doch... Bagatellchen.«
Aufs neue traten Tränen in Angéliques Augen. Sie legte ihre Hand auf seine Stirn. Wie schwach er wirkte, er, der für gewöhnlich so hart war!
»O Philippe!« flüsterte sie. »Welche Wirrnis! Und Ihr habt mir eben erst das Leben gerettet!... Ach, warum haben die Dinge nicht einen anderen Verlauf genommen? Ich wäre so froh gewesen, Euch lieben zu dürfen.«
Der Marquis gebot mit einer befehlenden Geste Schweigen.
»Ich glaube, da sind sie«, sagte er. Auf der Marmortreppe war das Klirren von Sporen und Säbeln zu hören. Dann ging die Tür auf, und das verstörte Gesicht des Grafen Cavois wurde sichtbar.
»Cavois!« sagte Philippe. »Du kommst, um mich zu verhaften?« Der Graf nickte bekümmert.
»Eine gute Wahl. Du bist Oberst der Musketiere, und nach dem Hauptmann der Königlichen Garde kommt tatsächlich dir dieses Amt zu. Was wird aus Péguillin?«
»Er ist bereits in der Bastille.«
Philippe richtete sich mühsam auf.
»Aha. Madame, seid so gütig, mir mein Wams um die Schultern zu legen.«
Doch bei dem Wort Bastille hatte sich ein Schwindelgefühl Angéliques bemächtigt. Alles fing von neuem an…! Wieder entriss man ihr den Gatten, um ihn in der Bastille einzukerkern. Wieder griff eine Macht in ihr Schicksal ein, deren unheimliches, unerschütterliches Sinnbild die düsteren Wälle und Türme jener Festung waren.
»Ich beschwöre Euch, Monsieur de Cavois«, murmelte sie heiser, »nicht in die Bastille!«
Cavois hob höflich die Schultern.
»Madame, ich bedaure es unendlich, aber so lautet der Befehl des Königs. Ihr wisst wohl, dass Monsieur du Plessis sich strafbar gemacht hat, indem er sich dem strengen Verbot zum Trotz duellierte. Indes sorgt Euch nicht. Er wird gut behandelt, gut verpflegt werden, und sein Kammerdiener hat die Erlaubnis bekommen, ihn zu begleiten.«
Er reichte Philippe den Arm, um ihn zu stützen. Angélique schrie auf wie ein verwundetes Tier:
»Nicht in die Bastille! Sperrt ihn ein, wo Ihr wollt, aber nicht in die Bastille!«
Schon auf dem Weg zur Tür, wandten sie sich mit dem gleichen verständnislos-ärgerlichen Blick nach ihr um.
»Wo soll er mich denn einsperren?« sagte Philippe zornig. »Etwa beim Pöbel im Châtelet?«
Alles begann von neuem. Das Warten, das Schweigen, die Unmöglichkeit, zu handeln, die unausweichliche Katastrophe. Sie sah sich abermals taumelnd den Weg des Leidens gehen, und schon packte sie die Angst wie in jenen Alpträumen, in denen man dem Unheil vergeblich zu entrinnen sucht und Blei an den Füßen zu haben glaubt. Ein paar Stunden lang war ihr, als müsse sie den Verstand verlieren.
Weitere Kostenlose Bücher