Angelique und der Koenig
früher Stunde begab sie sich ins Schloss und wartete im Saal der Bittsteller, nachdem sie dem vergoldeten Schiff auf dem marmornen Kamin ihre Reverenz erwiesen hatte, das die Person des Königs vertrat. Zur Stunde der Bittschriften fand sich unter den verzierten Decken von Versailles die übliche Anzahl pensionsloser alter Militärs, Witwen und heruntergekommener Adliger ein, armselige Wracks, die, vom Schicksal und den Mitmenschen verlassen, sich an die Allmacht des Königs wandten. Madame Scarron, die nicht weit entfernt in ihrem abgetragenen Umhang wartete, war geradezu deren Prototyp. Angélique wollte nicht von ihr erkannt werden und behielt deshalb den kleinen Schleier ihrer Kapuze über dem Gesicht.
Als der König vorüberkam, verharrte sie in kniender Stellung und beschränkte sich darauf, ihm die vorbereitete Bittschrift zu überreichen, in der Madame du Plessis-Bellière Seine Majestät untertänigst bat, ihr eine Unterredung zu gewähren. Sie stellte mit Genugtuung fest, dass der König, nachdem er einen Blick auf die Bittschrift geworfen hatte, diese in der Hand behielt, anstatt sie, wie üblich, Monsieur de Gesvres zu übergeben. Gleichwohl war es der letztere, der, kaum dass sich die Menge ein wenig zerstreut hatte, zu der verschleierten Gestalt trat und sie gedämpft bat, ihm zu folgen. Kurz darauf öffnete sich vor ihr die Tür zum Kabinett des Königs.
Angélique war nicht darauf gefasst gewesen, so rasch Gehör zu finden. Mit unruhig klopfendem Herzen tat sie ein paar Schritte in den Raum hinein und ließ sich abermals in die Knie sinken, sobald sich die Tür wieder geschlossen hatte.
»Steht auf, Madame«, ließ sich die Stimme des Königs vernehmen, »und tretet näher.«
Die Stimme klang nicht böse. Die junge Frau gehorchte und wagte, vor dem Schreibtisch angelangt, ihren Schleier zu lüften. Es war sehr dunkel. Der Himmel hatte sich mit schweren Wolken bezogen, und jenseits der Scheiben peitschte der Regen den Sand der Terrassen. Trotz des Halbdunkels konnte sie auf dem Gesicht Ludwigs XIV die Andeutung eines Lächelns erkennen. Er sagte in freundlichem Ton:
»Es betrübt mich, dass eine meiner Damen sich zu solcher Heimlichkeit verpflichtet fühlt, wenn sie mich sprechen möchte. Konntet Ihr Euch nicht offen zeigen und anmelden? Ihr seid die Frau eines Marschalls.«
»Sire, ich bin dermaßen in Verlegenheit, dass…«
»Schön, das lässt sich hören. Ich betrachte Eure Verlegenheit als Entschuldigung. Es wäre klüger gewesen, Ihr hättet neulich abends Fontainebleau nicht so überstürzt verlassen. Diese Flucht vertrug sich nicht mit der Würde, die Ihr im Verlauf des peinlichen Zwischenfalls an den Tag gelegt habt.«
Angélique unterdrückte eine Bewegung der Überraschung. Sie war schon im Begriff, den Monarchen darauf hinzuweisen, dass sie sich auf seinen, durch Madame de Choisy übermittelten Befehl entfernt hatte. Aber er schnitt ihr abermals das Wort ab.
»Lassen wir das. Was ist der Anlass Eures Besuchs?«
»Sire, die Bastille…«
Sie hielt inne, da ihr bereits das Aussprechen dieses Wortes den Atem benahm. Ihr Satz, das fühlte sie, war schlecht begonnen. Sie verwirrte sich und verkrampfte die Hände.
»Damit wir uns gleich richtig verstehen«, sagte der König freundlich, »für wen wollt Ihr Euch verwenden? Für Monsieur de Lauzun oder für Monsieur du Plessis?«
»Sire«, rief Angélique lebhaft aus, »das Schicksal meines Gatten ist meine einzige Sorge!«
»Ach, wäre sie es doch immer gewesen, Madame! Wenn ich dem glauben darf, was man mir erzählt, habt Ihr Schicksal und Ehre des Marquis für eine, wenn vielleicht auch noch so kurze Weile in den Hintergrund Eurer Gedanken verwiesen.«
»Das ist richtig, Sire.«
»Ihr bereut es?«
»Ich bereue es, Sire. Von ganzem Herzen.«
Während sie seinen durchdringenden Blick auf sich ruhen fühlte, fiel ihr wieder ein, was sie über die Neugier des Monarchen in Bezug auf das Privatleben seiner Untertanen hatte sagen hören. Auch darüber, dass sich diese Neugier mit absoluter Diskretion verband. Er wusste, redete aber nicht. Mehr noch: er gebot den andern Schweigen. Angéliques Blick kehrte von diesem ernsten, vom fahlen Licht modellierten, ihr zugewandten Gesicht zu den beiden kraftvollen, regungslos auf der schwarzen Tischplatte ruhenden Händen zurück – wahrhaft königlichen Händen.
»Was für ein Wetter!« sagte er plötzlich, während er seinen Sessel zurückschob, um aufzustehen. »Man müsste eigentlich die Leuchter
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