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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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bestimmte Strukturmerkmale und folgt bestimmten Gesetzen. Das heißt nicht, dass die Mode in ihrer konkreten Entwicklung vorhersehbar sei. Ihre Entwicklung ist jedoch nur innerhalb bestimmter Muster möglich. Welche der Möglichkeiten ausgewählt und wie sie konkret realisiert werden, das ist nur im Nachhinein zu bestimmen. Der Rückgriff etwa auf einen historischen Modefundus ist weder beliebig – alles so schön bunt hier, ich kann mich gar nicht entscheiden – noch bedeutungslos. Auch wenn wir, die wir diese Moden tragen, meistens natürlich keine Ahnung davon haben, was wir tun, wenn wir uns anziehen: Modewandel hat System. Fragt sich bloß, welches.
    Zurück zu den neuen Beinen der Frauen. Sie helfen uns vielleicht auf die Sprünge. Man hat die neue Hochbeinigkeit mit den staksigen Beinen von Füllen verglichen und darin eine weitere Bestätigung des Trends zu einer immer jüngeren Kindfraugesehen, die jetzt schon präpubertär daherkäme. Ein Blick in die Geschichte verspricht hier hilfreicher zu sein als ein Blick in die Natur. Die neuen Beine der Frauen entpuppen sich als die alten Beine der Männer. Sie verdanken sich einer Übersetzungsleistung. Doch es ist nicht die moderne Herrenmode, die jetzt übertragen wird, sondern die Herrenmode vor dem Bruch, der alles ändern sollte. Und da waren die Männer in der Zurschaustellung ihrer körperlichen Reize nicht weniger ostentativ, ja zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert ostentativer als die Frauen. Die Männer waren das schöne Geschlecht.
Als die Herren noch Bein zeigten
    Das lange, bis oben sichtbare, durch die Schuhe noch optisch verlängerte Bein, dessen Silhouette durch farbige, gar gestreifte oder weiß schimmernde Strümpfe aufs Vorteilhafteste unterstrichen wird, finden wir auf Bildern der flämischen und italienischen Renaissance: selbstverständlich bei den Herren. Es hat seinen Ursprung in der Militärkleidung. Zur Zeit Kaiser Karls V. ragt dieses lange, schlanke, bestrumpfte Bein weniger farbenfroh, eher monochrom, aber ebenso klar konturiert unter einem kurzen Ballonrock, der Heerpauke, oder unter einer enganliegenden, kurzen Oberschenkelhose hervor. Diese Heerpauken wurden übrigens so voluminös, dass im britischen Parlament unter Elizabeth I. die Sitze verbreitert werden mussten, um den Herren den nötigen Platz einzuräumen. Karl V. zeigte in kostbaren, feingestrickten Strümpfen »wunderschöne Beine« (Abb. 1). Diese Strümpfe, auch Tricothosen genannt, zierten hin und wieder sogar zarte Stickereien. Im Europa der Renaissance waren Seidenstrümpfe Männersache. Der spanische Hof beschenkte Heinrich VIII . mit dem Prachtstück einerseidenen Strumpfhose. Technische Revolutionen, vergleichbar der Erfindung der nahtlosen Nylonstrumpfhose, kamen damals nicht den Frauenbeinen, sondern den Männerbeinen zugute. Um die Tricothosen der Männer wurde ähnlich viel Aufhebens gemacht wie in Europa und Amerika zwischen 1950 und 1980 erst um die Seiden-, dann um die Nylonstrümpfe der Frauen. Ihr Schimmer und Sitz, ihre Feinheit und Schmiegsamkeit beschäftigte Heerscharen von Forschern und Ingenieuren. Sie wurden von der Laufmasche bis zum Strumpfhalter, vom faltenlosen Sitz bis zur retro-faltigen Seidenoptik zum Inbegriff weiblicher Erotik.
    Manchmal kombinierten die Herren ihre Tricothosen mit spitzen Schuhen, die aus Leder in derselben Farbe hergestellt wurden und das Bein noch einmal optisch verlängerten. Oft mit fast zierlichen Schuhen, die Absatz hatten. Ludwig XIV. stellte die schönen Beine eines hervorragenden Tänzers in weißglänzenden Seidenstrümpfen zur Schau, die durch Schuhe mit roten Absätzen und Schleifchen noch gestreckter wirkten. Absätze trugen im 17. Jahrhundert zunächst nur Männer, bis die Frauen es ihnen abguckten. Die europäische Aristokratie übernahm diese Mode aus dem Orient. Auch sie hat ihren Ursprung im Militär: Die persische Kavallerie trug Stiefel mit Absätzen, um reitend im Bügel stehend Bogen schießen zu können. Schuhe mit Absätzen waren also nicht zum Gehen, sondern zum Reiten gemacht. Absätze hatten ursprünglich einen martialischen Appeal, der in den Cowboystiefeln überlebt. Am Hofe Ludwigs XIV. wurden die Absätze zu einem Statussymbol und Farbe tragen zu einem königlichen Privileg: Nur der Hof durfte per Edikt von 1670 rote Sohlen und rote Absätze tragen. 2 In der Tradition Ludwigs XIV., der nur 1,63 Meter maß, sind französische Kaiser wie Napoleon und Präsidenten wie Mitterand oder Sarkozy

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