Angezogen - das Geheimnis der Mode
geschminkt und hochmodisch.
Den zweiten Puderkrieg hat zweifelsfrei die »orientalische« Fraktion gewonnen. Die Neue Welt war an diesem Sieg maßgeblich beteiligt. War sich schön zu machen vor der Revolution ein Privileg der Männer und Frauen des Adels und der sehr wohlhabenden Schichten gewesen, so war es im 20. Jahrhundert für alle Frauen zu haben. Amerika brachte das Make-up demokratisch für jedermann an die Frau.
Von der Arabeske zur Funktion: Sind Frauen die neuen Männer?
Die Geschichte der Mode wird so erzählt, dass sich die Frauenmode der Moderne einem im Prinzip antimodischen Impuls verdankt, der vom Weiblichen hin zum Männlichen, von der nutzlosen, nur schmückenden Arabeske zur striktenFunktion, vom Künstlichen zum Authentischen ginge. De facto ist die Mode hier sehr viel listiger vorgegangen.
Ein einfaches Beispiel für diesen in unseren Erzählungen von der Mode ungebrochen antimodischen Impuls, der doch nie verfolgte, was er zu verfolgen vorgab, ist nicht nur das kleine Schwarze. Einfacher noch brachte es das kleine schwarze Jackett von Chanel auf den Punkt, das unlängst von der französischen Vogue gefeiert wurde. In ihm sind die Frauen, wurde aufatmend festgestellt und als Schritt in die richtige Richtung gefeiert, endlich ähnlich uniformiert wie die Herren im Anzug. Das kleine schwarze Jackett reduziere, so wurde es angepriesen, den Aufwand, den man um die Garderobe treiben muss. Man kann es zu jeder Tag- und Nachtzeit tragen. Es passt zu jeder Gelegenheit. Im Büro ist man damit genauso gut angezogen wie zum Cocktail danach. Auch im Kino oder in der Oper ist es nicht deplaziert. 93
Mit dem kleinen schwarzen Jackett, so scheint es, ist die Damenmode der viel praktischeren Herrenmode wieder einen Schritt näher gekommen. Wie die Herren, die überall im Anzug hingehen können, ist die Dame im schwarzen Jackett jetzt auch überall richtig angezogen. Wie die Männer braucht sie sich nicht mehr für jede Gelegenheit umzuziehen. Aber liegt der Witz hier nicht tatsächlich darin, immer richtig angezogen zu sein, weil man bereits auf den ersten Blick ersichtlich Chanel trägt? Dass Chanel zu dem Modefetisch schlechthin geworden ist, der Dior und alle anderen Marken in den Schatten gestellt hat, davon erzählt auch Elfriede Jelineks Stück Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. Nicht also die Uniformierung der weiblichen Körper in einen Kollektivkörper scheint mir dadurch erreicht – denn das kleine schwarze Jackett kann und darf natürlich nur von Chanel sein, beides ist gewissermaßen synonym geworden –, sondern die Aneignung des Namens der Mode schlechthin: ein echtes Chanel.
Ein schönes Beispiel für den Erfolg des anti-modischen, emanzipatorischen Narrativs liefern die Ratgeber How to dress for success. Die Rezepte des an der männlichen Norm gewonnenen Richtig-angezogen-Seins werden auf die Frauen übertragen, damit sie sich auf dem Arbeitsmarkt als Konkurrentinnen gegen die Männer behaupten können. Paradoxerweise ist das Kriterium, ob sie richtig angezogen sind, bei Frauen anders als bei Männern nur das richtig dosierte Zurschaustellen von Sexyness: nicht zu viel Weiblichkeit. Gepflegt, aber die Schminke soll nicht als solche auffallen. Zu viel Farbe, zu viel Ornament, zu viel Schmuck ist immer ein Fehler. Der Fingernagel als Kleinkunstwerk, die mit Federn geschmückten und mit bunten Strähnchen verzierten Haare gelten als wenig empfehlenswert. Sich nicht als Schmuckstück auszustellen, sich nicht aufzutakeln und herauszuputzen, zu schminken und zu schmücken, sich keinem künstlichen Zwang zu unterwerfen, sondern sich natürlich einfach und zweckmäßig nüchtern, bequem, schlicht und völlig selbstbestimmt gleichgültig gegen jedes Modediktat anzuziehen, propagieren diese Ratgeber als Ideal. Es ist direkt aus der bürgerlichen Männermode übernommen. Richtig angezogen ist man, wenn die Kleider nicht ins Auge stechen. Die Funktion der Kleider geht idealerweise darin auf, das Äußere, den Körper und seine Besonderheiten, zum Verschwinden zu bringen und einzig die Persönlichkeit, das Individuum und seine inneren, authentischen Werte zu unterstreichen. Am besten ist man angezogen, wenn sich keiner daran erinnert, was man trägt. Auffallen darf lediglich, in wie vollkommener Weise man nicht auffällt. Den Körper als bekleideten unsichtbar zu machen, ist, glaubt man solchen Ratschlägen, das Geheimnis richtiger Kleidung, die eben nicht lächerlich modisch, nicht kindisch ewig
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