Angezogen - das Geheimnis der Mode
zum Bauchnabel aufgeknöpften Hemdes wird eher als Geschmacksfehler beurteilt. Obwohl das ein Grenzfall ist. Dass auch Männer – ganz selteneinmal – viel zu viel Männlichkeit ausstellen, zeigt die Jahrzehnte zurückliegende, aber bis heute mythische Landung von Jacques Lang auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Der französische Kultusminister stieg in goldschimmernden, fast durchsichtigen Hosen aus dem Flugzeug. Konnte er sich offenbar leisten. Das wäre für die meisten Männer in jeder Hinsicht fatal.
Sexy Unisex
Entgegen allen Selbstentwürfen in Richtung Moderne ist die weibliche Mode dem Unisex nicht geradlinig gefolgt. Sie hat bloß vorgegeben, der Männermode zu folgen. Augenscheinliche Augenwischerei. Denn de facto hat sie in dieser Übersetzung den Geschlechtsunterschied gerade nicht aufgehoben, sondern durch Übertragung der klassischen erotischen männlichen Zone in die weibliche Garderobe profiliert. Überhaupt wird die Frauenmode erst durch die Übertragung der vormodernen männlichen Attitüde, das offensive Zurschaustellen, sexy. Die Unisexmode ist so alles andere als Unisex. Sie unterstreicht im Gegenteil gerade das, was die Geschlechter trennt: Denn während die Männer im bürgerlichen Zeitalter ihren Körper nicht mehr erotisch zur Schau stellen, definiert sich die weibliche Rolle gerade darüber, dass sie ebendies tut. Der vermeintliche Unisex verschärft den Gegensatz Mann/Frau.
Besonders überzeugt im Genre des Unisex hat Jil Sander, die nach Chanel vielleicht die prominenteste Pionierin einer endlich modernen Frauenmode geworden ist. Mit puristischen, tadellos sitzenden Hosenanzügen und Kostümen ist sie Königin eines minimalistischen, perfekten Business Style. Ähnlich wie Chanel trat Jil Sander unter dem Motto an, die Frauen wie die Männer nicht ostentativ künstlich, sondern »natürlich« anzuziehen. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt darin, das Weiblichenicht einfach wegzubügeln und im Männlichen untergehen zu lassen, sondern die Nichtbetonung zu unterstreichen. Jil Sander wurde weniger von Geschäftsfrauen denn von den Ehefrauen der Geschäftsmänner oder anderen, wie es so schön heißt, betuchten Damen gekauft. Zwar mag man in diesen Kleidern berufstätig aussehen. Vor allem sieht man darin durch die unübersehbare Qualität von Stoffen und Verarbeitung unendlich wertvoll aus – und das ganz ohne »samt und seide, blumen und bänder, feder und farben«. Die Rolle der Ehefrau konnte man so hinter sich lassen und die der selbständigen Frau überstreifen, ohne sie sein zu müssen. Jil Sanders Hosenanzüge und Businesskostüme schmiegen sich weich fließend dem Körper an, dessen Linien sie schmeichelnder nachzeichnen, als das noch der bestgeschnittene Herrenanzug aus dem edelsten Tuch tut. Auch dem aus der Herrenkleidung völlig verbannten Spiel von Haut und Stoff geben sie raffiniert, man möchte sagen, verschleiert, Raum. Jil Sander war so vielleicht der ideale Kompromiss in der Darstellung von Weiblichkeit in protestantisch bürgerlich dominierten Ländern am Ende des letzten Jahrhunderts. Denn einerseits legt sie klassisch alles Chichi ab und suggeriert die unabhängige, berufstätige, selbständige Frau. Man hat es absolut nicht nötig, auf dem Heiratsmarkt an den Mann zu kommen. Um das symbolische Kapital des Haushalts ins rechte Licht zu setzen, hat man inzwischen raffiniertere Formen entwickelt, als sich als Frau, die ausgehalten wird, anzuziehen. Ohne deshalb männlichen Uniformismus an den Tag zu legen. Mit Jil Sander inszeniert man die edle Betuchtheit eines schlicht unbezahlbaren Körpers.
Weiblichkeit an die Macht
Frauen, die ihren Mann stehen, leisten es sich neuerdings, sich ganz als Frau anzuziehen. Damit deutet sich eine Kehrtwende im Businesslook oder überhaupt im öffentlichen Erscheinungsbild von Frauen an, die sich gegen den bisher vorherrschenden Trend Unisex vor allem in der Berufskleidung richtet. Die französischen weiblichen Führungseliten tragen im Berufsleben nicht mehr Hosenanzug oder Kostüm, sondern offensiv ein Kleid. Sie reklamieren somit für sich das Recht, eine Weiblichkeit zeigen zu dürfen, die ihre Autorität nicht in Frage stellt. Sie ziehen sich als Frau an und haben trotzdem etwas zu sagen. Das scheint in Frankreich, wo man dem Weiblichen in der Öffentlichkeit selbstverständlicher einen Platz einräumt als in Deutschland, einfacher zu sein. Anders als der Hosenanzug oder das Kostüm, die aus Übertragungen und Anpassungen der
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