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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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weiblich ist, sondern bloße äußere Hülle. So wird das Individuum nicht verstellt, sondern der Kern der Persönlichkeit unterstrichen. Gut angezogen ist man, wenn man nicht so wirkt, als entfremde man sich an die Mode. Sonst ist man eine bloße Modepuppe oder ein Modegeck. Be yourself, sei ganz du selbst, ist dann auch der Werbespruch, auf dessen Zugkraft viele Designer vertrauen. Man soll nicht so wirken, als ob mansich der Mode unterwirft, sondern sich selbstbestimmt anziehen. Kein reflexives Verhältnis zu sich selbst, keine Entfremdung, in der man sich mit anderen Augen sieht, sondern authentisches Bei-sich-Sein soll durch die Kleidung zum Ausdruck gebracht werden. Die vollkommene Naturalisierung der Kleidung, die Rhetorik der Rhetoriklosigkeit, ist das Ziel in der bürgerlichen Ära.
    Dass diese Ratgeber dennoch auf die erotische Inszenierung allein des weiblichen Körpers bezogen bleiben, macht nicht nur das nie ausbleibende Abraten von Spaghettiträgern klar. Was als offensiv erotisch und deshalb als Tabu gilt, variiert nach kulturellem Kontext. Die toe cleavage etwa, der Spalt zwischen den Zehen, der bei einem tiefen Schuhdekolleté in Ballerinas oder Pumps sichtbar wird, hat in Europa noch keinen Hund hinter dem Ofen hervorgelockt. In den USA wird davon im Büro entschieden abgeraten. Er gilt in Europa nicht als erotisches Signal, der neben dem allfälligen Fußfetischismus einen anderen Spalt, den zwischen den Brüsten im Dekolleté, ankündigt. Überhaupt scheinen Europäer, was den Fuß angeht, weniger erregbar. Riemchensandalen sind an heißen Tagen im Büro durchaus zulässig, während die Amerikaner bei weiblichen nackten Zehen, selbst wenn sie rosa lackiert sind, rot sehen. Auf keinem europäischen Flughafen würde eine Dame, die offene Blahniks trägt, der Business Class verwiesen. Dagegen wird sie jede amerikanische Stewardess, ohne mit der Wimper zu zucken, in die Economy Class setzen: Nackter Zeh ist nackter Zeh. Einig hingegen ist man sich diesseits und jenseits des Atlantiks, dass Spaghettiträger, tiefe Ausschnitte und hohe Schlitze, kurze Röcke und steile Absätze nicht ideal sind. Auf keinen Fall den Eindruck erwecken, man stünde nicht mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Wenn das Spiel zwischen Stoff und Haut das strukturelle Moment ist, das die Damenmode von der Herrenmode unterscheidet, dann ist der klassische Satz »Bloß nicht zu viel Fleisch, das macht angreifbar« wohl die Kurzformel für diese negative Bezogenheit auf die »weibliche« Art und Weise,sich anzuziehen. Die Ratgeber tendieren dahin, Weiblichkeit in Pragmatik auszulöschen: Frauen sind weniger eitel als Männer, die trotz aller zur Schau getragenen Nüchternheit nicht frei von Hahnenkämpfen und Gockelei sind. Ganz pragmatisch, nicht eitel auf sich selbst, sondern auf die Sache bezogen, sind Frauen deshalb effizienter und effektiver. Bunt sind sie dem Leben zugewandt, das sie fröhlich meistern. Bloß kein Glamour, bloß keine Damenhaftigkeit, die signalisiert, dass man nicht richtig zupacken kann. Angela Merkel verkörpert diesen Look vollkommen.
    Für Männer ist es einfacher, sich für den Erfolg anzuziehen. Die Ratgeber für Männer ziehen die erotischen Reize erst gar nicht in Betracht. Nirgends liest man, man solle keine zu engen Hosen gar ohne Unterhose tragen, die das Geschlecht erahnen lassen. Geschlecht und Kleid sind kein Thema. Die don’ts beziehen sich so gut wie nie auf das Vermeiden des Zurschaustellens anziehender Männlichkeit, sondern auf Klassengrenzen und Aktivitätsfelder. Nackte Zehen in Sandalen sollten im Büro nicht wegen ihrer unwiderstehlichen Sexyness nicht gezeigt werden, sondern weil sie einem anderen Tätigkeitsbereich – Freizeit – und einer bestimmten Klasse – dem Kleinbürgertum – zugerechnet werden. Richtig angezogen sein wird ohne den Umweg über den geschlechtlich mehr oder weniger exponierten Körper über die Klasse definiert. Von Shorts oder kurzen Hemden wird nicht deshalb abgeraten, weil man damit das Augenmerk auf seinen unwiderstehlichen Sex-Appeal, seine hinreißenden Beine oder seinen muskulösen Oberkörper lenken würde, sondern weil es der falsche, spießige, schrebergärtnerische Dresscode ist. Es sei denn, man ist auf den Bermudas, wo man selbst im steifsten Businessszenario besagte Shorts tragen darf. Pullover und Jeans sind ebenfalls nicht anzüglich, sondern schlicht casual und deshalb bei der Arbeit zu vermeiden. Das Goldkreuzchen im Brusthaar eines bis

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