Angezogen - das Geheimnis der Mode
zerfällt.
Am Ende stürzt eine nüchterne, vernünftige, liebende Maria, jungfräuliche Kindsmutter, immun gegen alle Verführungen spektakulärer Weiblichkeit, das blendende Idol vom Thron und beendet den Tanz um das Goldene Kalb. Mit dem ganzen Froufrou der Weiblichkeit hat sie nichts am Hut. Gold und Sex, durch den Stoff, aus dem die Träume sind, die Weiblichkeit, geleitet, werden in einer Tränenwoge geläutert. Die neue Maria erlöst von dieser so allbeherrschenden orgiastischen wie verheerenden Ökonomie, die wie ein Moloch alles verschlingt und im taumelnden Tanz um hinreißende Weiblichkeit alles in Schutt und Asche legte. Die Extravaganzen der Mode sind dieser vernünftigen, jungfräulichen Mutter fremd. Den orientalischen Gott bekehrt sie zu den wahren bürgerlichpatriarchalen, völlig unspektakulären, eben modern westlichen, produktiven Werten: Haushalt, Ehe und Familie. Reformiert, wird Adonis zum so treusorgenden wie gutverdienenden Familienvater.
Die Mode wird aus der Mode kommen
Bei aller Unterschiedlichkeit zeichnet die hier vorgestellten Ansätze eine Bestrebung zur Reform der Mode, ja zur Abschaffung des Modischen aus. Von Zola über Nietzsche bis Loos zeigen sich alle als modekritisch bis modefeindlich; sie hoffen auf ein Verdämmern der Mode. Ausnahmen sind Baudelaire und Goblot; nur diese beiden nehmen entschieden die Partei der Mode und damit die Partei eines Paradierens von Weiblichkeit, egal ob Männer oder Frauen dies tun. Baudelaire ergreift die »orientalische« Partei, in der er Frauen, Künstler und Dandys vereint sieht, Goblot findet, dass die Männer der Bourgeoisie ästhetisch nicht eben den allerbesten Eindruck machen. Ein bisschen mehr von dem jetzt nur noch bei den Frauen anzutreffenden Begehren nach Eleganz und Schönheit würde ihnen ganz gut stehen. Modelust wird beiden Geschlechtern neben Baudelaire und Goblot nur von Flügel zugestanden; bei den anderen erscheint es als ein weiblich-weibisches, ruinöses Laster, das durch Mütterlichkeit zu heilen ist – Zola – oder das den mittelalterlichen, nein schlimmer, kapitalistisch-orientalischen Geschlechterverhältnissen der Moderne geschuldet sei. In dieser Perspektive ist es nicht Lust, sondern schieres Nützlichkeitsdenken, bittere Notwendigkeit, die die Frauen zu einer exzessiven Mode drängt – aber abgesehen von der Nicht-Mode der Geistesmenschen ist nach dieser Lesart alle Mode exzessiv. Wie Leibeigene, fast wie Märtyrer bis ins Fleisch gezeichnet, müssen die Frauen die Kreditfähigkeit ihres Herrn aller Welt vor Augen führen. Oder sie können aufgrund der unemanzipierten Verhältnisse nicht anders, als sich wie Prostituiertean den Meistbietenden zu bringen. Eine anders nicht zu erklärende und nicht zu entschuldigende Lust wird dem aufgeklärten Diskurs einverleibt, der sich redlich bemüht, noch im scheinbar Überflüssigsten, Unsinnigsten, Abartigsten das wohlverstandene und deshalb letzten Endes vernünftige Eigeninteresse eines utilitaristischen Subjekts auszumachen. Simmel sieht die übertriebene Liebe zur Mode – das ist fast ein Pleonasmus – als schlechte Kompensation für mangelnde Möglichkeiten von Selbstverwirklichung, die man den Frauen im Moment verweigert. Selbst Flügel fürchtet, dass auch die Frauen in den sauren Apfel der Sublimation werden beißen und um der allgemeinen Sache willen Verzicht auf Modelust werden leisten müssen. Würden sich die Verhältnisse ändern, könnten, müssten, dürften Frauen endlich wie Männer sein. Es geht, kurz gesagt, um die Emanzipation von der Mode. Der Götze ist zu stürzen, an die Stelle von unterworfenen, fremdbestimmten Tyrannen und Sklaven sollen selbstbestimmte Individuen treten. Der Auszug aus Babylon wird vorhergesagt. Rudi Gernreich sagt das lustiger: Die Mode wird aus der Mode kommen. Heißt: Mode wird bleiben.
Klar ist, dass dieser Auszug nicht stattgefunden hat. Entgegen allen Vorhersagen von Nietzsche bis Loos und Flügel, entgegen allen Beschwörungen von Unisex ist es nicht zu einer teleologischen Entwicklung der Frauenmode hin zur Männermode gekommen. Ebendiese Entwicklung hin zu einer endlich modernen, funktionalen, den Körper im Kollektiv verschmelzenden a-rhetorischen Mode sollte nach diesen Autoren der weiblichen Emanzipation auf dem Fuße folgen oder ihr gar voranschreiten. Ohne sich in Fragen zu verstricken, ob und wie weit die Emanzipation gelungen ist, ist es offensichtlich, dass sich Frauen auch heute im Hinblick auf ihre
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