Angezogen - das Geheimnis der Mode
weiblichen an die männliche, bürgerliche Mode hervorgegangen sind, ist das Kleid das weibliche Kleidungsstück par excellence. Es bleibt unhintergehbar weiblich kodiert. Daran haben alle Anstrengungen, es für einen unauffälligeren Businesslook zu entdramatisieren, wenig geändert.
Allerdings beobachtet man auch hier ein Einerseits/ Andererseits, arbeiten doch im Moment so gut wie alle »modernen« Designer an ebendieser Vereinbarkeit von »Autorität« und »Weiblichkeit« – kein Kinderspiel, wie ein Blick auf die Politikerinnen zeigt. Um als Businesskleidung zu taugen, muss dieses urweibliche Kleidungsstück mit Macht und Autorität aufgeladen werden. Am erfolgreichsten tut das im Moment vermutlich Phoebe Philo für Céline. Dafür müssen andere Autoritätszitate als der schon weidlich ausgeschlachtete Businessanzug her. Obwohl auch der gerade wieder im Stil von Marlene Dietrich, Yves Saint Laurent oder poppig im Stil der Sechziger weiblich neubelebt wird.
Bleiben ältere Modelle, die männliche Autorität verkörpern.Manchmal müssen sie ausgemottet werden: Richterroben, Universitäts- und Pastorentalare. Sie kommen in Schwarz und, was die Richterroben angeht, in leuchtendem Rot daher. Die schweren, bis zum Boden fallenden Stoffe hüllen Männer nicht in Hosen, sondern in Falten. Sie haben den Charme des Abgelebten und drücken doch Corporate Identity aus.
In den letzten Kollektionen von Céline oder auch von Raf Simons für Jil Sander ist man hier fündig geworden. Raffiniert passen sie diese männlichen Talare und Roben in das Schema des weiblichen Kleides ein. Eine schwarze Bluse aus schwerem Crêpe de Chine, einem Seidenwollgemisch, mit weiten Ärmeln und Bändern, die was von Beffchen haben, schließt hüftig an einen matt glänzenden, etwas gummiert wirkenden, kurzen, gerade geschnittenen Rock an. Die Bluse schwankt zwischen dem Oberteil eines Talars und der klassischen Crêpe-de-Chine-Bluse mit großer Schleife einer Society-Lady. Ohne aus dem Rahmen zu fallen, bildet der Rock das Gegengewicht zum seriösen Oberteil.
Raf Simons hat in seiner letzten Kollektion für Jil Sander fast sakrale Roben geschneidert. Aus schwerem schwarzen Seidensatin umfallen sie den Körper, durch ein Unterkleid gehalten, wie einen Schrein in vollkommener Unberührtheit. Kein Pastor könnte makelloser verhüllt auf der Kanzel stehen. Einziges Gegengewicht ist die durch ein unfertig wirkendes, rechteckiges, auch nicht so elegant gesäumtes Dekolleté hervorgetriebene Leiblichkeit. Gerade durch den nicht gekonnt und fast zufällig wirkenden Ausschnitt, der die erotische Kodierung des klassischen Dekolletés verschiebt, wird die individuelle Körperlichkeit unterstrichen.
Dressman
Die Opposition von weiblich/männlich wird, man sieht es, in der weiblichen Mode raffiniert und gründlich zersetzt, ohne dadurch aufgehoben zu werden. Die vermeintliche Aufhebung verschärft den Gegensatz noch. Wie sieht es auf der männlichen Seite aus? Wie klar der bürgerliche Dresscode für Männer immer noch funktioniert, hat vielleicht am lakonischsten Yohji Yamamoto auf den Punkt gebracht. Er eignet sich auch deshalb als Zeuge für dessen scheinbar klassisch ewige Beständigkeit so gut, weil er einer der Designer ist, der ebendiesen Code am entschiedensten ausgereizt und verschoben hat. Bei den Frauenkollektionen, sagt Yamamoto, ist er immer nervös. Denn der unvorhersehbare Moment, in dem das Kleid auf den Körper trifft, entscheidet darüber, ob die Magie der Erotik funktioniert. Vor Männermodenschauen hingegen »bin ich nicht wirklich nervös. Nicht weil das Entwerfen für Männer einfacher wäre. Im Gegenteil. Es ist sogar schwieriger, weil man bei Männerkleidung schnell an Grenzen stößt. Es gibt nur eine begrenzte Zahl von Kleidungsstücken, Jacke, Hose, Hemd. Damit lässt sich nur schwer spielen. Bei Frauenkleidern dagegen ist die Gestaltungsfreiheit grenzenlos.« 94 Dass daran, dass Männer sich so anziehen, wie sie es tun, eine ganze Welt hängt, bringt Yamamoto vielleicht etwas zu optimistisch auf den Punkt: Würde der Präsident der Vereinigten Staaten einen Männerrock von Yamamoto im Oval Office tragen, gäbe es keine Kriege mehr, glaubt er. 95
Männer mögen jetzt hin und wieder Röcke tragen; Kleider tragen sie nicht. Diese »Männerröcke« kommen wie der Kilt, den Jean Paul Gaultier und Alexander McQueen salonfähig machen wollten, aber auch wie die Röcke Yamamotos, nicht aus der Kleidung der Frauen, sondern aus der
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