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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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es gibt auch Moden in Bezug auf die männliche Körperbehaarung. Er lässt sich nicht nur den Rücken und die Brust enthaaren, sondern folgt wie die Frauen ausgeklügelten Schamhaarritualen: komplett, brazilian etc. Hin und wieder trifft man in den sogenannten kreativen Berufen Männer, die sich die Haare färben – oder die Augen mit einem Kajal zum Funkeln bringen und die Nägel lackieren. Aber das ist vernachlässigenswert im Verhältnis zur Selbstverständlichkeit, mit der der überwältigende Teil jeder weiblichen westlichen Bevölkerung tagaus, tagein nicht nur zu pflegenden Cremes greift, sondern einen Parfümspritzer hinters Ohr setzt, Make-up aufträgt, Rouge auflegt, die Wimpern tuscht, die Nägel lackiert, die Augen mit einem Lidstrich betont und die Lippen nachzieht. Sich zu schminken oder nicht zu schminken ist zu einem der Hauptunterschiede zwischen Männern und Frauen geworden. In der Öffentlichkeit ist das leicht zurechtgemachte weibliche Gesicht – Puder, Lippenstift, Wimperntusche – die Norm.
    Den ersten Puderkrieg, als den man die Französische Revolution auch bezeichnen kann, zettelte das Bürgertum gegen die Aristokratie an. Gegen die gepuderten Haare und gepuderten Gesichter des Hofes stellte man natürlichen Teint und natürliche Haarfarbe. Nicht nur Schleifen und Bänder, Samt und Seide, bunte Federn und leuchtende Steine, sondern auch alles im 18. Jahrhundert so sündhaft teure wie üppig aufgetragene Rouge, der Puder und die Schönheitsflecken wurden für beide Geschlechter zum Tabu. Für Männer sind sie es bis heutegeblieben. »Anständige« Frauen, denen alle Frivolitäten in Sachen Kleidung zugestanden wurden, überließen das Schminken bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts den öffentlichen Frauen. Mit Reispuder, Rouge und schwarzumrandeten Augen zeigten sich nur Schauspielerinnen und die Damen der Halbwelt. Anfang des 20. Jahrhunderts wussten Marken wie Max Factor, Helena Rubinstein, Elizabeth Arden und Revlon, unterstützt durch Hollywood, den zweiten Puderkrieg für sich zu gewinnen – diesmal allerdings nur für die Frauen. Erst jetzt wurde das schwache Geschlecht richtig schön und Weiblichkeit nicht mehr nur auf der Bühne oder im Film, sondern im öffentlichen Raum inszeniert. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Make-up in Amerika und England als »Kriegsmalerei« getragen. Lippenstifte hießen Victory oder Patriotic Red . Seit Anfang des letzten Jahrhunderts haben das weibliche Gesicht und der weibliche Körper einen spektakulären »Puderschub« erfahren. 92
    All das passierte nicht widerstandslos. Die nationalsozialistische Einrede gegen rote Lippen und angemalte Nägel war nur die prominenteste: So etwas stünde der südlichen, orientalischen Frau und allen so überfremdeten Kulturen wie den Franzosen, nicht aber der deutschen, nordischen Frau. Gegen das orientalisch-jüdisch Modische, das künstlich reizend Zurechtgemachte setzte man nordische natürlich-unverdorbene, eben ungeschminkte Klarheit. Der Sex-Appeal des jüdischen Kosmopolitismus, die elegante, geschminkte, mit Schmuck und Pelzen behangene Dame war nichts für daheim. Darin waren sich übrigens aufrechte Kommunisten und Nationalsozialisten einig. Der Revolutionsklassiker von Eisenstein, Panzerkreuzer Potemkin , von 1925 zeigt die Dekadenz der Bourgeoisie durch ein eben solches geschmücktes und geschminktes Weibchen in Pelzen, Seiden und Stöckelschuhen – Lustwerkzeug und Luxusartikel. Dagegen stehen die selbstredend ungeschminkten mütterlichen Frauen aus dem Volk. Die nationalsozialistische Propaganda sah es ähnlich: Deutsche Frauen waren kein frivolesSpielzeug, das nichts als sein Vergnügen im Kopf hat. Sie hatten es nicht nötig, sich aufzutakeln, um ihre innere Leere zu überschminken.
    Eigenartig überlagert wird dieser Kulturkampf um das Make-up durch die Diskussion über »aphroditische« und »nordische« Arten der Liebe. Um es mythologisch auszudrücken: Demeter, der nährenden, natürlich fruchtbaren, erdverbundenen, ganz und gar heimischen Erdgöttin steht das blendende Idol der Aphrodite gegenüber, der Göttin, die, mit Marlene Dietrich zu reden, nur lieben kann. Die sexuell aufgeschlossene Demeter, Ehefrau und Mutter, redet unprüde einer vernünftigen Fruchtbarkeit das Wort. Dagegen steht die öffentliche Frau, die zerstörerische Geliebte oder Kindfrau, die ihren Lüsten unterworfen die Männer zu Lüstlingen macht, sie unterwirft und aussaugt: die Femme fatale, der promiske Vamp, selbstredend

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