Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
Vom Netzwerk:
der Krieger. Sie sind ein urmännliches, archaisches Kleidungsstück, das im Falle des Kilts auf Clanzugehörigkeit schließen ließ. Hier geht es wenigerum Crossdressing als um das anachronistische Einkleiden in eine Vergangenheit, die vor der bürgerlichen Normierung ins Kollektiv liegt. Obwohl Röcke heute natürlich als weibliches Kleidungsstück wahrgenommen werden, bleibt etwas von diesem impliziten Wissen.
    Besonders klar wird die rigorose Normierung der männlichen Kleiderordnung, wenn sie mit Fleiß in jedem Punkt verdreht wird. Umgekehrt ist das schlicht nicht mehr denkbar, weil die Übertragung der männlichen Mode in die weibliche mit dem Hosenanzug von Yves Saint Laurent in den Siebzigerjahren abgeschlossen wurde. Überraschend war hingegen, als Marc Jacobs, enfant terrible der Modeszene, in einem rosafarbenen Polokleid auf der Ausstellung »Louis Vuitton – Marc Jacobs« 2012 im Musée des Arts décoratifs erschien (Abb. 13). Zu allem Überfluss und in der Tat wenig korrekt zeichneten sich darunter überdeutlich – visible slip line oder VSL, mit Woody Allen zu reden – seine Boxershorts ab. Weil dieser Auftritt bis in die kleinsten Details das schon fast krude Gegenstück zum männlichen, bürgerlichen, eben antimodischen Modeideal ist, lohnt sich ein etwas genauerer Blick. Schreiend kommt Jacobs in Rosa, bis heute der weiblichen Farbe schlechthin, wie jeder, der sich in einem im Lillifee-Stil dekorierten Mädchenzimmer oder in einem à la Rosamunde Pilcher auf englischen Landhausstil getrimmten Interieur umsieht, auf einen Blick erkennt. Rosa ist als unübertrefflich weiblicher Ton auch die Farbe der Homosexuellen. Jacobs trägt zudem das weibliche Kleidungsstück par excellence: ein Kleid, das unter dem Knie endet. Trotzdem steht hier kein als Frau verkleideter Mann, kein Transvestit vor uns. Das Kleid ist ein verlängertes Polohemd und zitiert den männlich bürgerlichen Standardfreizeitlook, für den seit den Fünfzigern sogar Rosa erlaubt war. Die sich abzeichnenden Boxershorts, die im wahrsten Sinne des Wortes unpassend, fast obszön seine Körperlichkeit betonen, sind zwar nach allen modischen Codes ein schwerer Fehler, aber klar ein männliches Kleidungsstück. Zweifelsfrei steht hier ungeschminkt, mit kurzgeschnittenemHaar und Dreitagebart, muskulösen Armen und behaarten Beinen ein Mann vor uns – der in einer der stereotypesten weiblichen Gesten überhaupt eine Clutch unter den Arm geklemmt hat. Wie ein Aristokrat des Ancien Régime trägt er Schnallenschuhe mit riesigen Diamanten, die in seinen eigenen Kollektionen als Piratenschuhe à la Die drei Musketiere ein wildromantisches Nachleben entfalten. Seine Arme sind tätowiert wie die eines Seemanns. Tattoos mögen Mainstream geworden sein, aber so wirklich kann man sich dann doch Herrn Ackermann nicht damit vorstellen. Begleitet wird Jacobs von einem Mann, der in schwarzem Leder zwischen Hell’s Angel und SM-Fetischist ganz Kerl ist. Und so auch mit der zarten, neben diesem Klotz fast zerbrechlich wirkenden petite an seiner Seite umgeht, die ihm ganz zu Willen ist. Der Skandal, den dieses Bild weltweit ausgelöst hat, ist Indiz dafür, wie selbstverständlich der bürgerliche Dresscode für den Mann herrscht. Und was für ein Kinderspiel es ist, dagegen zu verstoßen.
State of the Art: Michelle und Barack Obama
    Das amerikanische Präsidentenehepaar verkörpert die Stereotype männlicher und weiblicher Kleidung auf der Höhe der Zeit. Schön zeigt sich an diesem Paar, dass die weibliche Mode im Gegensatz zur männlichen grundsätzlich von der Dialektik von Orientalischem, modisch Spektakulärem, kurz Antimoderne und Moderne bestimmt bleibt. Ohne einen einzigen Fauxpas kleidet sich Barack Obama normgerecht als amerikanischer Mann; makellos trägt er im Job immer Anzug. Und meistens in der klassischsten aller Herrenanzugfarben: dunkelblau. Legt er das Jackett ab, dann trägt er ein weißes, frischgebügeltes Hemd. Nach international italienischen Anfängen – ErmenegildoZegna – ließ er alles Fremdartige, das einen Hauch von Froufrou haben könnte, hinter sich. In nationaler Mission zur Stärkung der heimischen Industrie stieg er auf einen namenlosen all American Designer mit ähnlicher Linie um: Hart Schaffner Marx heißt die Firma, deren Ruhm das nicht beflügelt zu haben scheint. Ein Anzug von Obama hat noch nie Schlagzeilen gemacht. Er ist im besten Sinne des Wortes unauffällig. Eben das hat ihn zum American Icon gemacht. Nach

Weitere Kostenlose Bücher