Angezogen - das Geheimnis der Mode
eigener Aussage will er keinen Gedanken auf die Kleider, die er trägt, verschwenden. Seine dunklen, schmal geschnittenen Anzüge gleichen sich wie ein Ei dem andern. Mit weißem Hemd, gestreifter blauer oder roter Krawatte könnte er fotogener und traditioneller nicht sein. Gelegentlich krempelt der amerikanische Präsident seine Hemdsärmel hoch, aber höchstens bis über den Knöchel, so dass man seine Uhr, ein Geschenk des amerikanischen Geheimdiensts, als sein einziges Accessoire sieht. Bei aller Bürgerlichkeit bleibt so ein Anflug von Martialität. So angezogen, verkörpert Obama die funktionale, universale Neutralität des Staatskörpers.
Mit Michelle Obama hat das Weiße Haus seit Jackie Kennedy wieder eine Modeikone. Seit ihr Mann im Amt ist, tritt sie nicht mehr als Anwältin, sondern als Gattin des Präsidenten und First Lady in einer folglich durch und durch weiblichen Rolle vor die Öffentlichkeit. Als Modeikone – noch dazu als die erste schwarze Modeikone im Weißen Haus – stand sie von Anfang an im Blitzlichtgewitter der Presse. Seit Isabel Toledos lindgrünem Kleid mit passendem Mantel, das sie zur Amtseinführung ihres Mannes trug, machen so gut wie alle ihre Kleider Schlagzeilen (Abb. 12). Seither sind der Welt wieder fast vergessene Textilraffinements wie Guipure-Spitze aus Wolle geläufig. Michelle Obama kleidet sich betont weiblich, trägt Farbe, Muster, eher Kleider als Kostüme und lieber Röcke als Hosen. Nicht nur die Herkunft ihrer Lieblingsdesigner – Toledo etwa ist in Kuba geboren – gibt ihrer Garderobe durch Üppigkeit der Farben und Stoffe einen Hauch von Exotik. Ihre Körperlichkeit wirddadurch anders als bei der damenhafteren, französischeren Jackie nicht sublimiert, sondern betont. Während diese in ihrer Mode ladylike im Hier und Jetzt stand und ganz den Augenblick verkörperte, umweht Michelle Obama in ihrer fast anachronistisch anmutenden Weiblichkeit der Duft einer vergangenen Zeit. Und ein Hauch Exotik, ein poetisches Anderswo, das sie in die prosaische Welt trägt.
Hinzu kommt ein künstliches Element, das den natürlichen Körper verschönernd ergänzt: Michelle Obama klimpert mit sichtbar angeklebten, künstlichen Wimpern. So angesagt diese Wimpern im Moment sein mögen, so kommen sie doch aus dem Varieté und wie die Fingernägel, die zum Kleinkunstwerk geworden sind, in die Mainstream-Mode zurück über den Umweg der schwarzen Kulturen. Als Lust an Farben, Glanz, Geflirre, Glitter und Illusion könnten sie geradewegs aus Baudelaires Lob der Schminke stammen. Was die vielbesprochenen Oberarme von Michelle Obama angeht, so fand man weniger deren Nacktheit anstößig – auf Nachfrage gab ihre einstige Imageberaterin zu Protokoll, Jackie Kennedy habe selbstverständlich ärmellose Kleider getragen – als deren Muskulösität. Hier steht offensichtlich eine First Lady vor uns, die Liegestütze macht. Dieser durchtrainierte Frauenkörper wird von einer männlichen Anmutung durchschossen. Die großen Schritte, mit denen Michelle Obama fast hereinstürmt, unterstreichen dieses männliche Moment. Yes We Can: Hier steht eine starke Frau vor uns, die trotz aller Weiblichkeit zupacken kann und ihren Weg macht.
Im Gegensatz zu ihrem unmarkierten Mann, der – ganz straight – zu einer Stilikone geworden ist, ist Michelle Obama modisch markiert zu einer ebensolchen geworden. Man redet über wenig anderes als über ihre Kleider und ihr Styling. Ihre Mode geht nicht Richtung Unisex, sondern schöpft aus dem Reservoir all dessen, was mit einer geradlinigen, schnörkellosen modernen Entwicklung nicht vereinbar ist. Sie trägt abgelegte, überholte, reizend altmodische Weiblichkeit mitsich, was gut zur Vogue des Vintage passt. Sie schmückt sich offensichtlich mit falschen Federn und schreibt sich so in die aus den schwarzen Kulturen kommenden, »modisch« sehr viel künstlicheren Verfahren ein. Deren erste Künstlichkeit zeigt sich in den geglätteten Haaren, Anpassung an die weiße Modenorm. Diese künstliche Weiblichkeit wird in ihrer starken Körperbezogenheit durch männliche Elemente – muskulöse Oberarme, weit ausschreitend – verstärkt. Stereotyp spiegelt das amerikanische Präsidentenehepaar so die Kleiderordnung der Moderne auf ihrem neuesten Stand wider: er funktional in ins Kollektiv zurückgenommener, uniformer Männlichkeit klassisch a-modisch modern, sie individuell spektakulär modisch. Sie überträgt und zitiert: schwarze Elemente, andere Rassen, exotische
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