Angezogen - das Geheimnis der Mode
und anachronistische Weiblichkeit, andere Zeiten, andere Orte, mit den männlichen Elementen ein anderes Geschlecht. Er ist ganz eigentlich. Keine Übersetzungen. Das ist der Stand der Dinge.
Oder Männer die neuen Frauen: Garçon chaton?
Emanzipation hin oder her, wird man den Eindruck nicht ganz los, dass Frauen mit ihren Körpern und Kleidern, Männer mit Worten sprechen. Was immer eine Frau in der Öffentlichkeit sagt, ihre Kleider scheinen dabei in einer Weise mitzusprechen, die bei Männern undenkbar ist. Nicht was sie sagt, sondern was sie trägt, zählt. Kommentiert werden ihre Kleider, ihre Haare und ihr Aussehen; bei einem Mann wird darauf im besten Fall kein Wort verschwendet. Als die französische Ministerin Cécile Duflot in einem weißen, mit großen Yves-Klein-blauen Blumen bedruckten, weit schwingendem Kleid im Parlament das Wort ergriff, hatte sie anscheinend schon alles gesagt,bevor sie auch nur das Mikrophon in die Hand bekam. Jedenfalls war die Reaktion der Abgeordneten auf ihr Kleid wesentlich prononcierter als auf ihre Rede. Sind wir noch im 19. Jahrhundert? Weiblichkeit wird kunstvoll-künstlich inszeniert, während wirkliche Männlichkeit dann am wirkungsvollsten zur Geltung kommt, wenn sie gerade nicht ins Auge fällt und als die natürlichste Sache der Welt erscheint? Vieles spricht dafür, dass wir uns noch immer in der Geschlechterordnung des 19. Jahrhunderts befinden, die wie die Ständeordnung von Natur keine Spur hat. Unisex ist vielleicht Wunschvorstellung oder Horrorszenario, aber sicher eines nicht: Realität.
Eine soziologische Studie, die das Kleidungsverhalten Jugendlicher zu Beginn des neuen Jahrtausends untersucht, zeigt, dass junge Frauen und Männer großen Wert auf Mode und auf Selbststilisierung legen. Kleider sind für beide Geschlechter wichtig. Trotzdem ist das Verhältnis von Kleid und Körper, von Kleid und Geschlecht, bei Jungen und Mädchen ein anderes. Sich ausgiebig mit Selbstästhetisierung zu beschäftigen gilt als weiblich. Zeigen Jungen ein großes Interesse an Mode, werden sie als mädchenhaft und teilweise als »schwul« bezeichnet. Enge Kleider gelten bei Männern als »schwul«, körperbetonte Kleider bei Frauen als anziehend weiblich. »Insgesamt zeigen die Interviews, dass Kleidung ein Element im doing gender ist. Dabei wird das weibliche Aussehen wesentlich sexualisierter wahrgenommen, weist der weibliche Körper klarere erotische Stellen auf, die immer wieder zwischen Verhüllung und Betonung changieren.« 96
Aber vielleicht sind die Männer gerade dabei, sich als die neuen Frauen zu mausern und die Zeit der großen Entsagung hinter sich zu lassen. 97 Würde dieses andere Ins-Spiel-Bringen des männlichen Körpers tatsächlich von zwar spektakulären, aber marginalisierten Protestbewegungen in den Mainstream vordringen und die Kleiderpraxis ändern, käme das in der Tat einer Revolution unseres Gesellschaftskörpers gleich; alle Körperschaften und Institutionen würden sich ändern. Unserepolitische Ordnung wäre anders verfasst; Frauen und Männer würden sich anders ins Verhältnis setzen. Bei den jetzt mal probehalber so genannten neuen Dandys wird das Prinzip der weiblichen Mode, die die dandyeske Männerkleidung übertragen hatte, auf den Anzug zurückübertragen. Dabei tritt das in den Vordergrund, was die Dandys propagierten: die reine Äußerlichkeit der Erscheinung, die auf nichts anderes verweist. Das transzendierende Moment auf die Korporation hin kippt zurück auf die Immanenz dieses Körpers im Hier und Jetzt. Ostentativ betonen die Herrenschneider in den letzten 20 Jahren den Körper, minimalistisch abstrahiert zur Linie. Damit löscht sich der Anzug als Anzug nicht mehr aus, sondern wird sichtbar zum Statement. Als Karl Lagerfeld bei Johannes Kerner im Fernsehen verkündete, er habe 40 ( ! ) Kilo abgenommen, nur um die Anzüge von Hedi Slimane (für Dior homme) tragen zu können, hatte diese Entwicklung den Mainstream erreicht. Hedi Slimane hat mit seinen Dior Boys , auch garçons chatons genannt, aus der verstaubten Herrenkleidung ein Spektakel gemacht (Abb. 1 4). Als »Katerchen« trat diese neue Männlichkeit zwar im Namen des männlichen Geschlechts auf die Bühne; darin schwang aber die chat , die Katze und also das weibliche Geschlecht, unüberhörbar mit.
Unter der Oberfläche hat sich etwas getan. Der klassische Herrenanzug ist nicht mehr die Norm. Die technischen, die intellektuellen, die kreativen Eliten tragen nicht mehr
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