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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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zwingend Anzug. Er ist damit nicht mehr allgemeines bürgerliches Kleidungsstück, nur von der proletarischen Arbeitskleidung abgesetzt. Von einem Klassenkleid ist er stärker zur Berufsuniform geworden: zum Kleid von Macht, Geld und Autorität. Business, Banker, Politiker, hohe Verwaltungsbeamte tragen Anzug. Kurz, Anzug zu tragen ist heute nicht mehr unmarkiert. Gleichzeitig ist die Mode dem Prinzip des Anzugs, dem ikonischen Kleidungsstück der bürgerlichen Demokratien, in den letzten 20 Jahre massiv zu Leibe gerückt. Dabei geht es um einen radikaleren Wandel als darum, Ellenbogenflicken jetzt nichtnur auf dem Tweedjacket, sondern auf einer ganz normalen Anzugjacke anzubringen. Wurden bisher männliche Prinzipien auf die weibliche Mode übertragen, so werden nun Prinzipien weiblicher Mode auf die männliche übertragen. Die ostentative Betonung des durch die neuen, aus der Haute Couture kommenden Techniken zur Arabeske abstrahierten Körpers greift auf ein weibliches Prinzip oder auf ein männliches vorbürgerliches Prinzip zurück. Pierre Cardin mit seinen enganliegenden Bleistiftanzügen war Vorreiter. Das Leichtsakko von Giorgio Armani, das einfach gefüttert ohne Pikierungen, Einlagen und Polsterungen auskam, und so dem Körper folgte, statt ihn zu überformen, war ein wichtiger Schritt in dieser Entwicklung. Warum aus dem »unconstructed jacket«, dem Terminus technicus für diese Art von Sakko, dann das »deconstructed jacket« wurde, bleibt ein Rätsel. Ein Meilenstein auch die ganz schmal geschnittenen Anzüge von Thierry Mugler, die fast wie Ballettkleidung wirkten. Hugo Boss’ kleine Schwarze, Tom Fords Anzüge saßen wie angegossen. Die neue, schmale Linie von Helmut Lang und zuletzt von Raf Simons für Jil Sander ist die Vollendung dieses Stilprinzips. Auf den Begriff gebracht ist diese Entwicklung mit Hedi Slimanes Dior Boys.
    Als androgyn werden diese Anzüge oft bezeichnet, als Mode für knabenhafte Männer. Wie der Dandy, so hat dieser neue Männertyp nichts anderes zu tun, als den natürlichen Körper zu kontrollieren und zu beherrschen. Ebendiese extreme, leicht trainierte Schlankheit treibt der neue Anzug hervor. Die Dior-Anzüge sind ja bekanntlich so geschnitten, dass man darin – eben wie in sehr, sehr vielen weiblichen Kleidungsstücken: Bleistiftrock, Röhrenjeans – nicht sitzen kann. Komfort, sagte Slimane, das A und O der normalen Männerkleidung, interessiere ihn nicht. Diese Form der raffinierten Silhouettierung, die scherenschnittartig die Biegsamkeit des Körpers, seine auf die Linie gebrachte Körperlichkeit betont, übersteigt das Funktionale. Hier geht es nicht um Funktion, sondern um Ästhetik, die Funktion nur noch als Zitat mitführt. Diese Anzüge lassen denganzen Körper in der Abstraktion zum Ornament werden. Insofern ist hier ein, ja vielleicht das Moment der weiblichen Mode par excellence, die Ästhetisierung des Körpers nämlich und sein Hervortreiben durch Mode, in die Männermode gewandert.
    Ahnen dieser Anzüge sind die Mods, eine englische Jugendkultur der Sechzigerjahre. Dass alles Neue, wirklich Revolutionierende aus dem klassischen Land der Dandys kommt, kann nicht verwundern. Die Mods did not dress down; they dressed up. Das verband sie mit den Dandys, die als Snobs – sine nobilitas – ihrem Körper so viel ostentative Aufmerksamkeit schenkten, wie das nur dem Adel und nach der Revolution den Frauen vergönnt war. Als Arbeiterkinder oder aus dem Kleinbürgertum stammend, als Söhne der lower oder lower middle class, zogen die Mods in einer Art Klassentravestie die Uniform der Großbourgeoisie, des Geldadels an: tadellos sitzende, maßgeschneiderte Anzüge. Sie warfen sich groß in Schale. Think David Bowie.
    Aber was passierte mit dem Anzug in dieser Klassentravestie? Blieb er einfach der Anzug? Modekritikerinnen heben beim Beschreiben der neueren Kollektionen eine im wahrsten Sinne des Wortes unpassende Körperlichkeit hervor: »enge Hüfthosen, Mäntel und Jacken, so eng am Körper liegend, als wären sie zu klein«. Selbiges gilt für Tom Ford, der als Herrenschneider angefangen hatte: »Hosen aus Stretchsatin, die drei Nummern zu klein wirkten«. Der klassische Topos, der das Geheimnis weiblicher Mode, wenn nicht das Geheimnis des weiblichen Geschlechts im Ganzen ausmacht, wird en passant auf die Männermode übertragen: »Die Unverfrorenheit des Nichts.« 98 Solche Schnitte waren natürlich in dem üblichen Material – Tweed, Wolle, Cord, Leinen –

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