Angriff auf die Freiheit
es müsse doch letztlich darauf ankommen, welcher Sorte Staat man erweiterte Befugnisse überläßt und zu welchem Zweck. Unser Staat sei schließlich kein Unrechtssystem, denken Sie, sondern – voilà! – eine Demokratie. Menschen wie Merkel, Steinmeier oder Westerwelle wollen den Bürgern im Land doch nicht übel! Herr Schäuble erfindet doch nicht Überwachungsgesetze, weil er den Weg in die nächste Diktatur sucht, sondern weil er uns gegen unsere Feinde verteidigen will!
Mag sein. Aber das ist nicht der Punkt. Gut gemeint ist oftmals das Gegenteil von gut. Man kann viel von Frieden reden und der drittgrößte Waffenexporteur der Welt sein. Man kann das Beste wollen und Menschen foltern. Das beweist nicht nur die Geschichte, sondern auch die unmittelbare Gegenwart. Deutschland hat mehrere internationale Konventionen unterschrieben, die das Foltern verbieten, und es gibt das Grundgesetz, dessen Menschenwürdebegriff vor Folter schützt und nicht einmal von einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit abgeschafft werden könnte. Trotzdem wird hierzulande öffentlich darüber nachgedacht (und zwar keineswegs von Extremisten, sondern von angesehenen Staatsrechtsprofessoren), ob man für Terroristen nicht eine Ausnahme vom Folterverbot machen müßte. Andere westliche Demokratien vollziehen solche Ausnahmen bereits; die deutschen Behörden wollen immerhin die durch Folterpraktiken gewonnenen Informationen verwerten.
Was muß noch passieren, um Ihren Glauben zu erschüttern, bei uns im modernen Rechtsstaat seien die Schlupflöcher ins Unrechtssystem auf immer fest verschlossen?
Natürlich glauben Sie, auf der unfehlbaren Seite der Welt zu leben, weil es eben Ihre Seite ist. Leider macht Liebe ihren Gegenstand weder harmlos noch ewig – dafür macht sie unter Umständen blind. Sonst müßten Sie sehen, daß es kein per se »gutes« System geben kann, dessen »guten« Zielen man in Krisenzeiten bedenkenlos hart erkämpfte Rechte opfern darf. Glauben Sie, diese Rechte nur unter der Bedingung abzugeben, daß der Staat »gut« bleibt? Ein Staat wird gewiß nicht besser durch eine Erweiterung seiner Befugnisse, im Gegenteil – je mehr Macht er konzentriert, desto größer die Gefahr von Mißbrauch. Und man wird Ihnen Ihre Rechte ganz bestimmt nicht an dem Tag zurückgeben, an dem Sie diese zurückfordern.
Anmerkungen zu diesem Kapitel
Achtes Kapitel: Angst sells
Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht von Anschlägen berichten. Vierzig Tote bei Selbstmordattentat in Bagdad; fünf durch eine Autobombe in Kabul. Das rauscht vorbei wie Staumeldungen. Zwanzig Tote bei Explosion in Mogadischu. Wenn es um »Terrorismus« geht, wird sogar Afrika interessant, wo 3000 Kinder, die täglich an Malaria sterben, keine Meldung wert sind.
Gibt es keine Anschläge zu vermelden, werden uns Bedrohungen vor Augen geführt. Wir erfahren von Verdächtigen und ihren Plänen. »Die deutsche Islamisten-AG« titelt etwa der FOCUS und wälzt die erstaunliche Nachricht, daß es auch gewalttätige Fanatiker deutscher Herkunft gebe, auf zwölf Seiten aus. Der Inhalt ist konfus. Unter der Überschrift »Das ganze Land erobert« wird von dreißig bis vierzig »Gotteskriegern« gesprochen. Einer dieser »jungen, zum Sterben bereiten Männer« trifft sich mit dem FOCUS-Journalisten und parliert im Café über Islamismus. Im Hintergrund raunen anonyme Sicherheitsbeamte: »Die ganze Rhein-Main-Schiene ist verseucht.« Der Mangel an konkreten Hinweisen hindert den FOCUS nicht daran, eifrig über grausige Gefahren zu spekulieren.
Erst der Finanzkrise ist es gelungen, den Terrorismus von Platz eins der medialen Charts zu verdrängen. Die Gefahr eines leeren Geldbeutels ist auf einmal wichtiger als die apokalyptische Bedrohung des Abendlandes – das wirft ein Schlaglicht auf die Manipulierbarkeit der Öffentlichkeit wie auch auf unsere wahren Prioritäten.
Gewiß: In einer modernen Demokratie gibt es keinen Propagandaapparat. Die Presse ist nicht der verlängerte Arm eines Informationsministeriums; eher noch wirken die Politiker in ihrem Kampf um ein paar Sekunden Sendezeit manchmal wie Marionetten einer übermächtigen Meinungsmaschine. Und trotzdem arbeiten Journalismus und Politik beim Thema Terrorismus so einträchtig zusammen – man könnte zum Verschwörungstheoretiker werden.
Das gebetsmühlenartige Heraufbeschwören der terroristischen Bedrohung schürt Angst, und Angst macht gefügig. Im Angesicht der Gefahr gibt man Freiheit
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