Angriff auf die Freiheit
zugunsten (vermeintlicher) Sicherheit auf. Ohne Angst ist kein (Überwachungs-)Staat zu machen. Ohne die treuherzige Terrorberichterstattung der Medien wären Online-Durchsuchung, Videoüberwachung von Wohnungen oder der militärische Abschuß von Passagiermaschinen nicht durchsetzbar.
Warum betätigen sich die Medien bei der Massenverängstigung an vorderster Front? Warum tragen sie mit ihrer Rhetorik dazu bei, daß es auf einmal wieder zwei Klassen von Menschen gibt: Personen (Bürger) und Unpersonen (Gefährder, Terroristen)? Wieso bereiten sie auf diese Weise dem Umbau des Rechtsstaats in einen Präventivstaat den Boden?
Fragte man einen beliebigen Redakteur, nach welchen Kriterien er seine Meldungen auswählt, erhielte man in den meisten Fällen zur Antwort: nach der Verkäuflichkeit. In Krisenzeiten steigen Einschaltquoten und Zeitungsauflagen, also wird dafür gesorgt, daß immer Krise ist. Täglich wird nach dem dicksten »Aufreger« gesucht. Good News Is No News. Oder auch: Angst sells. Dieses Prinzip teilen sich die Journalisten mit den Politikern. Das gemeinsame Ziel, egal, ob bewußt oder unbewußt, führt zu einer dynamischen Symbiose, in der warnende Sicherheitsexperten und katastrophenverliebte Medien den Schulterschluß üben.
Bevor neue Gesetze erlassen werden, muß die Akzeptanz der Öffentlichkeit vorbereitet werden. Die Einschränkung von Rechten kann nur mit Gefahren für die Gesellschaft und den Einzelnen gerechtfertigt werden. Die »terroristische Bedrohung«, auf die wir schon ausgiebig im dritten Kapitel eingegangen sind, geht sprachlich Hand in Hand mit dem neuerdings so beliebten Begriff des »Terrorverdächtigen«. Die Logik ist einfach: Wo Gewalt droht, müssen Verdächtige lauern.
Entsprechend haben sich die »Terrorverdächtigen« in den letzten acht Jahren explosionsartig vermehrt. Die tageszeitung etwa hat den Begriff (in allen seinen Abwandlungen) vor dem 11. September 2001 kaum benutzt – bis 1999 ganze zweimal, im Jahr 2000 wiederum zweimal, 2001 viermal. Danach setzte eine wahre Inflation ein: 2002 46mal; 2003 75mal; 2004 114mal; 2005 132mal; 2006 95mal und 2007 102mal. Bei der altehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung ergeben sich ähnliche Zahlen: eine Hausse nach dem 11. September 2001 von 680 faustdicken Verwendungen.
Von den meisten Journalisten wird der Begriff nicht nur inflationär, sondern auch völlig unkritisch gebraucht: »Nach der Verhaftung dreier Terrorverdächtiger in Deutschland haben die Befürworter schärferer Gesetze Oberwasser.« ( NZZ , 13. September 2007) – Was häufig publiziert wird, muß noch lange keinen Sinn ergeben. Denn wenn die drei Verhafteten tatsächlich nur verdächtig sind, ist der Pegelstand im Normalwert, und wenn sie sich als Täter erweisen sollten, was abzuwarten ist, bewiese der Erfolg der Ermittlungen eher, daß die bisherigen Kompetenzen der Behörden ausreichen und eben keine »schärferen Gesetze« erforderlich sind. Und überhaupt, von welchem »Oberwasser« ist die Rede – solange es doch vor allem die Medien selbst sind, die der Forderung eines Politikers »Oberwasser« verleihen können? Formulierungen wie diese schüren Furcht und spitzen die öffentliche Diskussion zu. Der »Terror« am Anfang des Begriffs »Terrorverdächtiger« dominiert die Wahrnehmung – daß es nur um einen Verdacht geht, wirkt dagegen wie ein nebensächlicher, nachgetragener Gedanke, eine nicht weiter zu beachtende Fußnote.
Dabei stört es die Angstmacher wenig, daß sie ein Problem mit der Empirie haben. Denn abgesehen von den drei großen Anschlägen in New York, London und Madrid ist die westliche Welt trotz täglicher Unkenrufe fast völlig vom Terror verschont geblieben. Die überwiegende Zahl der Anschläge findet im Irak und in Afghanistan statt; dementsprechend sind die Opfer überwiegend Iraker und Afghanen. Dort hätte man mehr Grund, von einer terroristischen Bedrohung zu sprechen – jene ist allerdings eher Folge von zwei Angriffskriegen durch die USA und nicht von angeblich unzureichenden (deutschen) Sicherheitsgesetzen.
In Ermangelung sichtbarer Gefahren müssen außergewöhnliche Bedrohungen heraufbeschworen werden. Gern wird dabei mit Worst-case- Szenarien operiert: Ein Flugzeug voller unschuldiger Bürger könnte auf den Messeturm in Frankfurt zurasen (dabei ist seit knapp acht Jahren kein Flugzeug mehr von Terroristen entführt worden). Ein Koffer mit einer Nuklearbombe könnte irgendwo in Berlin deponiert werden. Wie viel
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