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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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telephonieren im Wohnzimmer und bemerken plötzlich ein leises Klicken, weil im oberen Stockwerk das zweite Telephon abgehoben wurde – jemand hört das Gespräch mit. Später am Abend führen Sie ein ernstes Gespräch mit Ihrem Mann oder Ihrer Frau über Mißtrauen in zwischenmenschlichen Beziehungen.

    Ist das nicht merkwürdig? In Ihrem Privatleben würden Sie es weder Fremden noch Angehörigen erlauben, in Ihren Sachen zu schnüffeln, Sie zu bespitzeln oder zu belauschen. Sie würden das mit allen Mitteln zu verhindern suchen. Zu große Neugier ist unanständig. Sie empfinden ein Gefühl des Widerwillens, wenn jemand plötzlich auffällig viel über Sie wissen möchte. Dieses Gefühl ist natürlich und notwendig. Es schützt einen Bereich, in dem uns andere Menschen gefährlich werden können, weil wir nicht wissen, wie sie intime Informationen nutzen wollen – wir benötigen eine Art persönlicher Bannmeile. Wir sträuben uns, wenn andere uns zu nahe kommen. Das gilt nicht zuletzt auch in körperlicher Hinsicht – ganz automatisch machen Sie in einer Warteschlange einen Schritt nach vorn, wenn Ihnen der Hintermann in den Nacken atmet.
    Und wenn diese anderen Menschen den Staat repräsentieren? Dann soll Ihnen die Bespitzelung egal sein? Sie ertragen die Aufdringlichkeit und trösten sich damit, Sie hätten ja »nichts zu verbergen«?
    Sie erwidern, das sei etwas anderes, weil der Staat für sein Verhalten gute Gründe habe. – So? Hat er die grundsätzlich, weil er wie Gott auf Erden ist, fehlerfrei und über jeden Verdacht erhaben? Oder prüfen Sie in jedem Fall, wie es um seine Legitimation bestellt ist? Agieren im Namen des Staates nicht Menschen, die bestimmte eigene Interessen verfolgen? Die sich auch mal irren oder bewußt in die Irre führen? Beweisen nicht unzählige Beispiele aus der Geschichte, daß der Staat Ihnen viel gefährlicher werden kann als jeder neugierige Fliesenleger oder eifersüchtige Ehepartner?
    Und was ist mit Ihren Prinzipien? Jeder von uns reagiert genervt, wenn im Café irgendein Unbekannter offensichtlich unser Gespräch belauscht oder uns beim Zeitunglesen über die Schulter schaut. Ein solches Verhalten ist Ausdruck von Respektlosigkeit. Wer ein Empfinden für die Würde der eigenen Person besitzt, wird sich so etwas nicht gefallen lassen. Was also ist los mit einem Menschen, dem es egal ist, ob ein Fremder seine privaten E-Mails liest? Hat er seinen Stolz, seine Würde, überhaupt jeden Bezug zu sich selbst verloren? Weiß er nicht mehr, was ein Mensch ist?

    Um Sie, lieber Leser, nicht zu beleidigen, wollen wir diesem Jemand einen Namen geben: Achim Angepaßt. Achim gehört zur Was-ich-nicht-weiß-macht-mich-nicht-heiß-Fraktion. Weil er die einschlägigen Zeitungsmeldungen nicht ernst nimmt, sich für Details nicht interessiert und Datenschützer für paranoide Wichtigtuer hält, weiß er nichts von den Veränderungen in unserer Gesellschaft. Selbst das Abhören seiner privaten Telephonate würde Achim nicht stören, solange er nichts davon merkt.
    Achim ist naiv. Außerdem ist er ein geübter Selbstbetrüger, dem es ausschließlich um ein bequemes Leben und den persönlichen Vorteil geht. An jeder Supermarktkasse hinterläßt er seinen kompletten Datensatz, wenn man ihm dafür ein paar läppische Rabattpunkte anbietet, die er bei Gelegenheit gegen einen Satz Frotteehandtücher oder eine Salatschüssel eintauschen kann. Achims Portemonnaie wölbt sich vor lauter Plastik: Payback- undKundenkarten von Drogerien, Tankstellen und seinem Friseur. Achim kommt sich schlau vor, er will von den vielen Angeboten profitieren. Dabei übersieht er, daß der Kapitalismus kein karitatives System ist, weshalb alles, was man ihm abkaufen oder abluchsen will, ein Vielfaches an Wert besitzen muß. Kritisches Nachdenken ist Achim zu anstrengend; was er nicht sehen oder fühlen kann, interessiert ihn nicht. Das Wirtschaftssystem hat ihn zu einem gehorsamen Kunden erzogen, der auf Anfrage sofort jede beliebige Auskunft über sich selbst erteilt.
    Wann wird Achim ein Licht aufgehen? Wenn er bei der Bank keinen Kleinkredit erhält, weil er im falschen Stadtteil wohnt und in den falschen Läden einkauft? Wird er dann auf einmal die Wirtschaft, die Politik und das Universum anklagen, weil sie alle nichts Besseres zu tun haben, als den »kleinen Mann von der Straße« auszubeuten? Oder wird er auch dann mißmutig schweigen und alles hinnehmen?
    An das alltägliche Datensammeln hat sich Achim

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