Angriff auf die Freiheit
nüchterner gehen wir im Vergleich dazu mit tatsächlich unausweichlichen Problemen um, die unsere Zivilisation und Gesellschaft in Frage stellen: wachsende Armut, mangelnde Bildung, Umweltschäden.
Gelegentlich erobert die Suche nach neuen Terrormeldungen absurdes Neuland. Zum Beispiel bei der Erfindung des »Öko-Terrors« – in Zusammenarbeit von Polizei und Medien – kann man beobachten, daß sich die Mechanismen der Angstmacherei mühelos vom Bereich des »radikalen Islamismus« auf die unbequeme Zivilgesellschaft übertragen lassen. Am 10. November 2008 titelte Der Standard in Wien: »Britische Polizei fürchtet Öko-Terroristen«. Im folgenden Bericht wird der Observer zitiert (die renommierteste englische Sonntagszeitung): Eine britische Sondereinheit habe eine Liste mit Anschlagszielen von einheimischen Umweltterroristen entdeckt. Im Brennpunkt steht die Organisation Earth First! , ein Dachverband unterschiedlicher grüner Vereine und Gruppen, die vor allem Öffentlichkeitsarbeit betreiben und Sommerlager für Minderjährige organisieren. Koordinierte Attacken gebe es zwar noch keine, erklärt eine anonyme Polizeiquelle, aber die Polizei sei überzeugt, daß entsprechende Strategien und taktische Manöver bald entwickelt würden (wieder einmal ist die Katastrophe nur eine Frage des »Wann«, nicht des »Ob«). Anschläge gegen Menschen seien nicht ausgeschlossen. »Wir haben mehrere Stellungnahmen entdeckt, laut denen vier Fünftel der Menschheit sterben müssen, um anderen Arten das Überleben zu ermöglichen.« Diese Unterstellung wird im Observer noch zweimal wiederholt. Nachdem das Gespenst des größten Massenmordes der Geschichte an die Wand gemalt worden ist, reibt sich der gemeine Leser verwundert die Augen über die einzige schreckliche Aktion, die als Beleg angeführt wird: Ende August seien in Berlin sieben Bankfilialen einem schlimmen Vandalismus zum Opfer gefallen – Türschlösser und Kartenleser seien mit Superkleber beschmiert und das Graffito »Nein zu britischer Kohle« hinterlassen worden. Die Artikel sprechen von »Angst« und »Sorge« der Behörden, von »Fanatismus« und »illegaler Sabotage« der Aktivisten. Beweise für die Beschuldigungen werden nicht geliefert.
In Wirklichkeit sind die Umweltaktivisten, die unter dem Dachverband von Earth First! organisiert sind, pazifistisch eingestellt. Es hat von ihrer Seite bislang keinen einzigen Angriff gegen Menschen gegeben. Einige wenige Aktionen haben sich gegen Sachwerte gerichtet, was viele Umweltaktivisten (darunter auch der Friedensnobelpreisträger Al Gore) angesichts der Umweltverwüstung durch manch einen Konzern als eine legitime Form von zivilem Ungehorsam bewerten. Gleichgültig, wie man zu Protestaktionen wie jenen bei Gorleben steht – mit Terrorismus haben sie nichts zu tun. Trotzdem sprechen Medien und Politik seit geraumer Zeit von »Öko-Terrorismus«. Damit sind nicht etwa Umweltsünder gemeint, sondern eine Minderheit, die sich aktiv für eine sauberere Umwelt und ein nachhaltigeres Wirtschaften einsetzt. Solche Diffamierungen bahnen den Weg für weitere repressive Maßnahmen der Staatsorgane (denn wo Terrorismus draufsteht, muß auch Terrorismus drin sein) und damit für Gesetze, die unsere Grundrechte einschränken.
Im genannten Beispiel wurde der Observer gezwungen, seine Meldung zurückzuziehen (nachdem die Polizei auf wiederholte Anfragen ihre Verdächtigungen nicht belegen wollte), doch meist segeln solche Artikel ohne anschließende Gegendarstellung durch die weit offenen Tore der Informationsgesellschaft. Regelmäßig warnt uns die Presse vor weiteren Gefahren, verkündet, es seien Attentäter auf dem Weg zu uns, und die Tatsache, daß die erwarteten Anschläge ausbleiben, wird großzügig mit Schweigen übergangen.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist die beinahe lückenlose Einheitsfront, in der sich die Medien zusammengefunden haben. Welche Zeitung, welches Fernsehprogramm würde es wagen, den »Ernst der Lage« und das »Ausmaß der Bedrohung« kritisch in Frage zu stellen? Welcher Journalist will sich als »Terroristenversteher« in Verruf bringen, indem er Notwendigkeit und Nutzen der staatlichen Terrorismusbekämpfung ernsthaft in Zweifel zöge? Diskutiert werden allenfalls Details; vielleicht findet ein Kommentator die Online-Durchsuchung nicht so richtig in Ordnung; einem anderen wiederum kann es mit neuen Sicherheitsgesetzen gar nicht schnell und weit genug gehen. Aber wer stellt die
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