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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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Polizei erlaubt einzugreifen, je nach Situation sogar den Löwen zu töten.
    Wer an dieser Betrachtungsweise etwas ändert, wer also, um im Bild zu bleiben, schon den Löwen an sich (und nicht erst sein Verhalten) als konkret gefährlich einstuft, schafft nicht nur ein paar neue polizeiliche Kompetenzen. Er zielt auf einen Paradigmenwechsel, auf ein neues Verständnis von Staat und Bürger und ihres Verhältnisses zueinander.
    Falls Sie, lieber Leser, noch in der Lage sind, »Bürger« und »Terrorist« als eine menschliche Einheit zu denken, müssen wir Ihnen leider mitteilen: Führende Juristen und Politiker unseres Landes können oder wollen das nicht mehr. In den USA wurde die Figur des »feindlichen Kombattanten«, für den ein spezielles Recht gilt, bereits in Gesetzesform gegossen. Ein wenig hinken wir der amerikanischen Entwicklung noch hinterher; so zeigen zum Beispiel die Untersuchungsausschüsse zu den Fällen Kurnaz und al-Masri, daß die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber dem Handeln der Exekutive noch funktioniert. Allerdings plädieren auch deutsche Rechtsprofessoren bereits für die Einführung eines »Feindrechts«. So vertritt der Strafrechtsprofessor Günther Jakobs die Auffassung, daß das normale Strafrecht für Terroristen ungeeignet sei, weil dadurch »dem Staat eine Bindung auferlegt wird – eben die Notwendigkeit, den Täter als Person zu respektieren –, die gegenüber einem Terroristen, der die Erwartung generell personalen Verhaltens gerade nicht rechtfertigt, schlechthin unangemessen ist.« Dieses Zitat muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Terrorist ist keine »Person« – sondern ein Feind.
    Seit dem Untergang des Nationalsozialismus zählte es zu den großen Leistungen der Bundesrepublik, nicht noch einmal einen »inneren Feind« zu postulieren. Selbst der RAF gelang es letztlich nicht, der Gesellschaft einen Feindbegriff aufzuzwingen, der sie von einer Verbrecherbande zur kriegführenden Partei befördert hätte. Angesichts des »islamistischen Terrors« hat sich das geändert, nicht einmal schleichend, sondern trampelnd und lärmend. Für viele Meinungsführer gibt es ihn wieder, den Menschen zweiter Klasse, eine Person ohne Personenqualität, die vogelfrei außerhalb der Gesellschaft steht.
    Zum Präventionsstaat gehört deshalb auch die geheimnisvolle Fähigkeit von »Fachleuten« und »Experten«, einwandfrei zwischen »Bürgern« und »Unpersonen« zu unterscheiden, ohne daß diese Entscheidungen überprüft werden könnten. Viele der Gefangenen in Guantánamo und in Bagram (dem fast vergessenen Gefängnis in Afghanistan, wo sechshundert »feindliche Kombattanten« festgehalten werden) können weder freigelassen noch vor Gericht gestellt werden, weil ihre Gefährlichkeit als gesichert gilt, ohne beweisbar zu sein. Den Ermittlern in Minority Report wäre das nicht passiert. Darum geht es in Wahrheit bei der Forderung nach immer mehr Überwachungsbefugnissen: Pre-Crime braucht Pre-Cogs.

    Anmerkungen zu diesem Kapitel

Siebtes Kapitel: Warum lassen wir uns das gefallen?
    Ihr Badezimmer wird renoviert – rutschsichere Matten, überall Haltegriffe, denn Sie haben erkannt: Die tatsächliche Gefahr droht durch nasse Bodenfliesen. Sie geben den Handwerkern letzte Anweisungen und fahren zur Arbeit. Im Büro stellen Sie fest, daß Sie wichtige Unterlagen zu Hause vergessen haben. Also eilen Sie in der Mittagspause zurück. Sie schließen die Wohnungstür auf, es ist still, wahrscheinlich essen die Handwerker gerade zu Mittag. Sie gehen direkt in Ihr Arbeitszimmer und trauen Ihren Augen nicht: Vor Ihrem privaten Rechner sitzt der Fliesenleger mit einer Tasse Kaffee in der Hand und liest sich quer durch Ihre Dateien. Was tun Sie, sobald Sie die Fassung zurückgewonnen haben?
    Sie schreien ihn natürlich an, Sie stellen ihn zur Rede. Er wollte nur einmal gucken, sagt der Fliesenleger ganz entspannt, ob Sie Steuern hinterziehen, Schwarzarbeiter beschäftigen oder illegal Musik kopieren. Seine Rechtfertigung überzeugt Sie kein bisschen, Sie schmeißen ihn raus. Sie überlegen sogar, Anzeige zu erstatten, bei jener Polizei, die gern dasselbe tun würde, was sich der Fliesenleger erlaubt hat – sich quer durch Ihre Dateien lesen.
    Oder stellen Sie sich vor, wie Sie den Marktplatz überqueren und irgendein unverschämter Kerl filmt Ihnen mit seiner Handy-Kamera direkt ins Gesicht. Die öffentliche Videoüberwachung dokumentiert, wie Sie ihn zurechtweisen.
    Oder Sie

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