Angriff Aus Dem Netz
den Vergewaltigern, Brutalos, Gangstern und Drogensüchtigen, die die übrigen Jugendgefängnisse bevölkern.
Die Gäste haben begrenzten Zugang zu Telefonen; es gibt einen Apparat in jedem Verwahrblock, und alle Gespräche werden aufgezeichnet. Mobiltelefone sind nicht erlaubt; selbst wenn es gelänge, ein Handy in das Gelände zu schmuggeln, würde ein starker Mobilfunk-Störsender dafür sorgen, dass es keinen Empfang hat.
All diese höchst nützlichen Informationen fand Sam heraus, indem er einfach Google aufrief und »Recton« eintippte.
Die Bäume zitterten ein wenig in der leichten Brise des Spätnachmittags, und ein paar Blätter trudelten wie Schmetterlinge über den NATO-Drahtzaun. Ein Blatt blieb für einen Augenblick auf einer der scharfen Drahtklingen hängen, bis es von einer stärkeren Brise wieder weggeweht wurde.
Drei asiatische Insassen spielten irgendein kompliziertes Kartenspiel. Sie saßen im Gras in der Nähe des Zauns, nur ein paar Schritte von Sam entfernt. Er versuchte, die Spielregeln zu erraten, ohne aber ständig hinüberzustarren. Das Spiel hatte eine Menge mit den Bildern auf den Spielkarten zu tun und die Königinnen schienen ganz besonders wichtig zu sein. Alle paar Augenblicke streckte ein Spieler plötzlich die Hand aus und versetzte einem der beiden anderen eine kräftige Ohrfeige, woraufhin sich die beiden anderen schier totlachten.
Sam konnte beim besten Willen darin keinen Sinn entdecken.
Er blickte wieder zum Zaun hinüber. So dünn, so zart und doch so bösartig mit seinen Haifischzähnen aus rasiermesserscharfem Metall.
Die Idee war ihm in dem Moment gekommen, in dem er die Codes für die elektronischen Türschlösser entdeckt hatte. Aber sich zu einer Entscheidung durchzuringen war doch eine ganz andere Sache.
Auf der einen Seite stand ein Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen von bisher unbekannter Länge. (Sie werfen den Schlüssel weg und vergessen dich, wie Kiwi behauptet hatte.) Auf der anderen Seite erwartete ihn nach der Flucht ein Leben im Untergrund, in Verstecken, ein ständiges Weiterfliehen. Er würde sich ständig umsehen müssen. Ein Ausgestoßener, ein Vogelfreier, ein entflohener Häftling.
Würde er je seine Mutter wiedersehen? Oder Fargas? Oder würde er das Land verlassen müssen, sich klammheimlich über die Grenze nach Kanada oder Mexiko schleichen und den Rest seines Lebens in einem fremden Land verbringen müssen?
Doch dann schaute er wieder zu dem Zaun mit der NATO-Drahtkrone hinüber, während er versuchte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn er sein Leben Monat für Monat so verbringen müsste – hier, im Knast, auf diesem kleinen Flecken Land, ständig beobachtet von bewaffneten Wärtern.
Und das wäre noch nicht mal das Schlimmste. An seinem achtzehnten Geburtstag würden sie ihn in ein Erwachsenengefängnis einweisen. Welche entsetzlichen Dinge würden ihn dort erwarten, zwischen all den Profiganoven, Einbrechern, Gangstern und Mördern?
Recton reichte schon, um ihm heillose Angst einzujagen. Aber die Vorstellung, in einem normalen Erwachsenengefängnis leben zu müssen, war schierer Horror.
Sam sah, dass Kiwi zu ihm herüberkam, und stand auf.
Zusammen schlenderten sie auf dem Joggingpfad entlang, der sich ein oder zwei Meter innerhalb des weißen Gartenzauns um das ganze Gelände hinzog.
Sam zählte seine Schritte, bemühte sich aber, sich nicht anmerken zu lassen, dass er seine Schritte zählte.
Seit seiner Einlieferung waren nun schon zwei Wochen vergangen. Zwei Wochen fader, geschmackloser Gefängnisfraß, Gemeinschaftsduschen (die er hasste) und das entsetzliche Platzangstgefühl, das ihn jeden Abend überkam, wenn Schlag neun Uhr das elektronische Schloss seiner Zellentür piepte und sich automatisch abschloss.
Obwohl er natürlich die Zeit ziemlich gut genutzt hatte. Er hatte sich die Routine der Wärter eingeprägt. Wo ihre Patrouillengänge verliefen. Wie lange sie dafür brauchten. Welche Wärter waren penibel und pünktlich und welche waren nachlässig oder verrichteten nur Dienst nach Vorschrift?
Er hatte einen Lageplan angefertigt, auf dem er die Zäune, die Bewegungsmelder und die versteckten Alarmeinrichtungen eingetragen hatte. Die Informationen hatte er den Dateien über die Sicherheitseinrichtungen entnommen, die der System-Administrator im Computer gespeichert hatte. Dann hatte er im Park die Längen gemessen und mit den Angaben in der Datei verglichen, sodass er nun Zeiten und Entfernungen errechnen
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