Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
Aktionskünstler Christoph Schlingensief mit einem vergammelten Hasen Wagners »Parsifal« revolutionieren wollte und damit sowohl das Andenken an Joseph Beuys beschädigte als auch gelangweiltes Gähnen im Publikum erzeugte.
Das wirklich Sehenswerte an den Premierenfeiern in Bayreuth ist der Schaulauf der Schicken, Schönen, Mächtigen und Reichen. Diese Galavorstellung allein lohnt schon den Besuch. Das schlohweiße Stammpublikum, das sich teils heute noch innerlich vor der »Führerloge« verneigt, pilgert zum Hügel. Es umkreist andächtig das Festspielhaus, bevor es auf die hart erkämpften Klappstühle sinkt und gebannt das Heben des Vorhangs erwartet. Manchen der Anwesenden geht es weniger um den Hörgenuss. Es geht um das seit mehr als hundertzwanzig Jahren gepflegte Ritual des Defilees am Premierenabend.
Vor Jahren, »Lohengrin« hatte Premiere, begrüßte der olle Wolfgang Wagner Bayerns Landesvater Stoiber im schwarzen Smoking mit »Herr Bundeskanzler«, als dieser beim Klang der dritten Fanfare als Stargast einmarschierte. Die damals in der Frage der Kanzlerkandidatur unterlegene Frau Merkel kam in einem krachbunten Kimono, bei dessen Anblick Karl Lagerfeld schlagartig zwanzig Kilo verloren haben soll. Showmaster Thomas Gottschalk stolzierte mit Samtanzug und Cowboystiefeln über den roten Teppich und verteilte fleißig Autogramme an seinen Fanclub; vielleicht hatte er auch Goldbären und Lakritz dabei. Brünstig grinste Schlagerstar Roberto Blanco aus einem roten Blazer mit Goldknöpfen seine Groupies an.
In Sommer darauf bekleidete Kanzler-Aspirantin Angela Merkel unbestritten die Hauptrolle im sommerlichen Festspielzirkus. In Bayreuth wurde die Dame als Kaiserin ante portas behandelt, die so schnell wie möglich den Cohiba-schmauchenden Brioni-Kanzler ablösen sollte. Ihr auf den Leib komponiert schimmert das Sehnsuchtsmotiv des tragischen Liebestods von Tristan und Isolde: »gis – a – ais – h«. Träumte die Kandidatin beim Klang dieses Motivs bereits von König Markes Thron, vom Bundeskanzler(innen)amt oder streng in Wagners Sinn vom Wunderreich der (tödlichen) Nacht?
Die meinungsbildende Presse reagierte begeistert über den ersten öffentlichen Auftritt der frisch gekürten Kandidatin. Chefredakteure und Meinungsführer schwärmen von Angela Merkels »glanzvollen Auftritten« (Bunte) und betonen den »neuen Lady-Look« (FAZ). Auf den Titelseiten seriöser Blätter wurde gerätselt, ob die Kanzlerin in spe in »hellem Pink, Aprikose, Meloneneis oder Blütenschaumrosa« (Berliner Zeitung) in Bayreuth vom Himmel stieg. Jedenfalls entzog sich Merkels Pastellton politischer Deutung, und allein das beflügelte die Journaille im ausgebrannten Sommerloch.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kollegen, wurden Euch die Geschmacksknospen weggeätzt? Wird der Wahlkampf ab sofort in der Kleiderkammer der Favoritin geführt? Welche Seife und welches Intimspray benutzt sie denn; mag sie lieber Erdbeer- oder Aprikosenmarmelade; bevorzugt sie Pepsi oder Coca Cola; welche Kopfschmerzpillen empfiehlt sie gegen Mobbing? – Wagnert demnächst vielleicht ganz Deutschland in Apricot?
Wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern nimmt das Publikum Notiz von den Roben der Macht. Wer schon einmal am grünen Hügel war, der weiß: das Volk giert danach, sich über derartige Banalitäten auszulassen! Bayreuth liefert den Einheimischen ausreichend Gesprächsstoff für lange fränkische Winterabende. Ich bin vielleicht kein »urteilsfähiger« Kritiker, wie es neuerdings zur Klassifizierung der Berichterstatter im Allgemeinen heißt, aber mir erschien die Thronanwärterin wie ein überbordender Aprikoseneisbecher mit Sahne. Statt Natürlichkeit und Unauffälligkeit zu betonen, wurde unsere tapfer-brave Angela als »leader of the gang« kostümiert. Herausgeputzt als Bandenboss soll sie ab sofort auch in modischen Fragen den Ton angeben. Englandkenner schmunzeln, die an die unvorstellbare Palette möglicher Bonbonfarben denken.
Auf mich wirkt Angela Merkel, als würde sie sich auf Bayreuths Bühne gern Wagners Tristan von der politischen Seele ringen und singen: »Dies furchtbare Sehnen, / das mich sehrt; / dies schmachtende Brennen, / das mich zehrt; / wollt´ ich es dir nennen, / könntest du es kennen …«
Ach, Engelchen, welch Seelen schlummern nur in deiner Brust? – Besonders toll finde ich Dein eilig gebastelt wirkendes Handtäschchen, über das jemand flink ein Stück
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