Angriff der Killerkekse. Unglaubliche Reportagen und atemlose Geschichten (German Edition)
Prospekten verfiel, die zarte Mädchen und junge Frauen wie frisches Fleisch im Fachgeschäft anbieten. Jedenfalls antwortete ich auf zahlreiche Offerten und begeisterte mich an den bunten Bildern, die mir zugesandt wurden. Zugegeben, ich retuschierte den eigenen Lebenslauf und hatte wohl auch vergessen, dass ich damals erst knapp dreizehn Lenze zählte und keinesfalls »Fabrikant« war.
So geschah es eines schönen Sonntags nachmittags, ich war mit Freunden in einem Freizeitheim beim Kickern, da stürmte mein Bruder das Lokal: »Trau dich auf keinen Fall in den nächsten Stunden heim. Da steht ein Mercedes voll Frauen vor der Tür, die du angeblich bestellt hast!«
Was war geschehen? – Angelockt durch meine blumige Selbstauskunft hatte sich ein Hamburger Heiratsvermittler in seinen schnittigen Benz gesetzt und war mit drei Kandidatinnen schnell mal 300 Kilometer Richtung Westfalen gerollt, um an unserer Haustür zu läuten. Es waren wahrscheinlich alles Alpha-Frauen aus dem Hafenviertel.
»Wohnt hier Herr Frieling?«, wurde der elegante Herr vorstellig. – »Jawohl«, antworte meine Frau Mama, »was wünschen Sie bitte?« – »Ich bin hier mit ein paar Damen unterwegs, die er zwecks späterer Heirat gern kennen lernen wollte«, gab der Daimler-Fahrer zur Auskunft. – Eine Zeitlang muss die Luft gebrannt haben. –
»Nun, da müssen Sie sich irren«, erklärte meine Mutter bestimmt, »mein Mann ist seit langem mit mir verheiratet!« Der ungeladene Gast reagierte unwillig und wühlte in seinen Akten. »Herr Wilhelm Ruprecht Frieling?«, fragte er zur Bekräftigung. »Das ist mein ältester Sohn«, klärte meine Mutter ihn auf, »der ist gerade dreizehn geworden und denkt wohl kaum ans Heiraten!«
Was der Reisende aus dem Land der Halsabschneider seinen hübschen Begleiterinnen auf der Rückfahrt über den weltmännischen, aber einsamen Wirtschaftsmagnaten wohl erzählt haben mag?
Bayreuth wagnert in Apricot
Juli und August sind Hochzeiten für Kulturfestivals in Nah und Fern. Gerade genieße ich im südfranzösischen Avignon das lebenslustigste Bühnenfestival, das die Provence zu bieten hat, da juckt mein Telefon. Auf allen Plätzen und Straßen der Papststadt wird musiziert, gesungen und gespielt. Hunderte Kleinkunstbühnen und Kompanien aus Nah und Fern treffen sich und machen auf ihre farbenprächtige Kunst aufmerksam. Mein Anrufer platzt in dieses frohe Treiben mit einem unwiderstehlichen Angebot: »Komm schnell nach Bayreuth. Für morgen Abend habe ich dir eine Eintrittskarte für Tristan und Isolde besorgt!«
Jeder eingefleischte Wagnerianer gerät bei einer solch unerwarteten Einladung vor Freude aus dem Häuschen. Er taumelt ins Auto, gibt Gas und braust zum grünen Hügel. Denn der »normale« Weg, legal an Karten für die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele zu kommen, führt an das Ende einer mumifizierten Warteschleife, die inzwischen länger als zehn Jahre brav ausharren und sich zudem einem Ritual bürokratischer Bewerbungen unterwerfen muss.
Deshalb findet sich im Buschwerk rund um das Bayreuther Festspielhaus auch manch vermodertes Gerippe, das ein Schild »Suche Karte« über den Tod hinaus fest umklammert hält. An solch einer sich schier endlos windenden Schlange elegant vorbei ziehen zu können, also ein Jahrzehnt Wartezeit nahtlos zu übergehen, bedeutet einen Sprung durch ein sich jäh öffnendes Zeitfenster. Eine herrenlose Eintrittskarte für Bayreuths heiligen Gral ist ein Wahnsinnsgeschenk.
In Avignon lacht die Sonne. Bei vierzig Grad Hitze sorgt der Mistralwind für angenehme Frische. Zikaden zirpen zart zum Fest; vom Himmel strahlt ein Lavendelrest. 1.300 Kilometer Anreise nach Oberfranken bedeuten eine anstrengende Autofahrt. Zudem kenne ich die Bayreuther Festspiele inzwischen gut genug, um zu wissen, dass Wagner an anderen Bühnen deutlich spannender inszeniert wird als im Walhall der Wagner-Erben. Trotz echter spontaner Begeisterung danke ich von ganzem Herzen und bleibe weiterhin im Süden.
Inzwischen sah ich Ausschnitte aus Christoph Marthalers in Bayreuth uraufgeführter Inszenierung des Liebesdramas um Tristan und Isolde. Danach habe ich wenig verpasst. Das Erzählen der Tristan-Geschichte auf »elektrische Art und Weise« unter dem Einsatz von potthässlichen Lampen und zahllosen Lichtschaltern mag auf Lichtallergiker beunruhigend wirken. Wagner und seinem Werk verleiht der Lampenladen als Regieidee wenig Feuer. Ähnlich war es schon, als
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