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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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nichts merkwürdig fand, erst später fiel mir auf, dass sie eher zu einem Deutsch-Spanischen Volksfest gepasst hätten, das es aber nicht gab, Verwechslung ist also ausgeschlossen, weil Spanien nicht zu den vier Mächten gehörte, die Berlin kontrollierten, und noch später habe ich gelernt, dass es in Frankreich durchaus Stierkämpfe gibt. Ich erinnere die Stille in der Reinickendorfer Leihbücherei und das schlechte Gewissen, wenn ich den Rückgabetermin verpasst hatte. Ich erinnere auch Fahrten mit der U-Bahn, vor allem die leeren Bahnhöfe in Ostberlin, die unsere Züge schnell durchquerten. Ich sah im Dunklen Sandsäcke und Soldaten mit Gewehren, und das war wohl der erste Angsttagtraum meines Lebens, dass mein Zug hier liegenbliebe, wir Passagiere aussteigen müssten und dieser Welt des Dunklen ausgeliefert wären. Nichts anderes war die DDR damals für mich, das Dunkle ihrer U-Bahnhöfe und die große Leere rund um das Brandenburger Tor. Meine Eltern stiegen mit mir und meinen Geschwistern die Plattform vor der Mauer hinauf, und wir blickten hinüber. Niemand da. Der Platz war leer, die Straße dahinter auch. Ich verstand das als Kind nicht. Warum bauten sie eine riesige Mauer, stellten Wachtürme auf, stapelten Sandsäcke und ließen Soldaten patrouillieren, wenn es nichts anderes zu schützen gab als menschenleere Bahnhöfe, Plätze und Straßen? Irgendwas war böse an der Welt hinter dieser Mauer, das hatte ich aus Bemerkungen meiner Eltern aufgeschnappt. Aber was? Ich wusste es nicht, und in Wahrheit war es mir egal. Wenn ich nicht einen dieser leeren Bahnhöfe passierte, vergaß ich, dass ich hinter einer Mauer lebte und dass diese Mauer Symbol eines Unfriedens war, wie meine Eltern mir erzählt hatten.
    Nur einmal habe ich diesen Unfrieden selbst erlebt. Das war wahrscheinlich 1969 oder 1970, vor dem Transitabkommen mit der DDR, als wir mit dem Auto in den Westen fuhren, um meine Großeltern zu besuchen, nicht die Eltern meines Vaters, sondern die Eltern meiner Mutter, die in Wuppertal lebten. Ich hatte sie schon einmal besucht, aber da waren wir geflogen. Als meine Eltern unseren Ford 12M bepackten, merkte ich, wie nervös sie waren, besonders mein Vater, der böse wurde, wenn er nervös war, der mich anschnauzte, der meine Schwester vom Rücksitz zerrte, weil sie zu früh eingestiegen war, noch bevor meine Mutter letzte Tüten und Pakete im hinteren Fußraum verstaut hatte. Mein Vater schleppte, meine Mutter verstaute, so hatten sie das aufgeteilt. Er hatte Kraft, sie Geschick und den Optimismus, den man braucht, um ein Auto, das offenkundig randvoll bepackt ist, weiter zu bepacken. Mein Vater schwitzte, aber nicht mehr vom Schleppen, das war beendet, sondern vom Zusehen. Der 12M war tief in seine Federn und Stoßdämpfer gesunken, und noch standen Taschen und Tüten auf dem Parkplatz vor unserem Haus, von dem ich erinnere, dass er weitgehend leer war – man hatte ihn weise für eine große automobile Zukunft angelegt, die dann auch gekommen ist, es gibt heute kaum noch freie Parkplätze in Berlin, nicht einmal in unserer kleinen Straße, die wirklich nicht dicht besiedelt ist. Irgendwann lief mein Vater weg, weil er nicht mehr mitansehen konnte, wie meine Mutter verstaute.
    Wir kannten das schon. Mein Vater lief häufig weg, wenn es schwierig wurde, aber er kam wieder, das wussten wir und waren nicht beunruhigt. Meine Mutter ging ihn holen, nachdem sie als Letztes ihren Kosmetikkoffer in den Ford gedrückt hatte. Wir, meine Schwester, mein kleiner Bruder, der damals vier Jahre alt war, und ich, standen beim 12M und sahen unsere Eltern in einem hinteren Winkel des großen, leeren Parkplatzes miteinander verhandeln. Meine Schwester spielte mit ihren Zöpfen, mein kleiner Bruder nuckelte am Daumen, ich vergrub die Hände in den Taschen meiner Lederhose. Wir konnten nicht hören, was unsere Eltern besprachen, aber wir kannten das Ende. Meine Mutter nahm meinen Vater in den Arm, hielt ihn eine Weile, und dann kamen sie Hand in Hand zurück.
    Allerdings war mein Vater immer noch nervös, das merkte ich, als wir die Avus hinunterfuhren. Er schwitzte wieder, als wir in der Schlange vor dem Grenzübergang Dreilinden standen. Dann tauchte ein Gesicht unter einer großen Militärmütze am Seitenfenster auf. Wir sollten aussteigen, sagte der Mann, der diese Militärmütze trug. Als wir ausgestiegen waren, sagte er, wir sollten unsere Sachen aus dem Auto holen. Alles, fragte meine Mutter, weil mein Vater in

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