Angst in deinen Augen
du hast recht, es ist wirklich besser, wenn jemand anders die Sorge um meine Sicherheit übernimmt. Es ist auf jeden Fall für alle Beteiligten das Beste.“ Sie begegnete seinem Blick mit klarer Entschiedenheit. „Du hast Wichtigeres zu tun, als meinen Babysitter zu spielen.“
Er versuchte nicht, ihr zu widersprechen. Tatsächlich sagte er gar nichts. Aber als sie aus der Küche ging und ihn allein vor diesem gemütlich gedeckten Frühstückstisch stehen ließ, dachte er: Du irrst dich. Nichts auf der Welt ist wichtiger für mich, als darauf aufzupassen, dass dir nichts geschieht.
Die Gegenüberstellung brachte kein Ergebnis. Vor dem Einwegspiegel standen acht Männer in Uniformen aufgereiht, aber Nina erkannte keine davon. Sie glaubte sich sicher erinnern zu können, dass die Uniform, die der Mann im Krankenhaus getragen hatte, grün gewesen war.
„Schön, das war reine Zeitverschwendung“, brummte Norm Liddell, der Staatsanwalt, ungehalten. Sam bemühte sich, sein Pokergesicht beizubehalten.
„Wir wissen, dass Spectre eine Art Pagenuniform trug“, sagte er. „Wir wollten nur, dass sie sich ein paar anschaut. Schließlich ist es bisher unser einziger Anhaltspunkt.“
„Wir haben den Polizeibericht von dem Fahrradunfall herausgesucht“, sagte Gillis. „Der Radfahrer hat ihn selbst angezeigt. Ich glaube, der Mann befürchtete, eine Anklage angehängt zu bekommen, deshalb hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihm der Mann auf der Congress Street vors Fahrrad gelaufen ist.“
„Auf der Congress?“ Liddell legte die Stirn in Falten und sah Gillis prüfend an.
„In der Nähe des Pioneer Hotels“, sagte Sam. „Wo unseren Informationen nach morgen der Gouverneur absteigen soll. Er ist Gastredner bei einer Veranstaltung von Geschäftsleuten. Wir haben das Pioneer gründlich durchsucht. Besonders das Zimmer des Gouverneurs.“
„Wann kommt der Gouverneur morgen?“, erkundigte sich Liddell.
„Irgendwann nachmittags“, gab Gillis zurück.
Liddell warf einen Blick auf seine Uhr. „Wir haben noch volle vierundzwanzig Stunden. Wenn sich irgendetwas Neues ergibt, erwarte ich umgehend informiert zu werden. Ist das klar?“
„Ja, Sir, Euer Hoheit“, murmelte Gillis.
Liddell schaute ihn scharf an, beschloss dann jedoch, die Unverschämtheit einfach zu überhören. „Ich bin heute Abend mit meiner Frau im Brant Theater. Ich habe meinen Pieper dabei, nur für alle Fälle.“
„Sie werden der Erste sein, den wir anrufen“, sagte Sam.
„Wir stehen im Rampenlicht. Also passen Sie auf, dass Sie es nicht wieder vermasseln.“ Das war Liddells Abschiedsschuss, und die beiden Polizisten nahmen ihn schweigend hin.
Nachdem der Staatsanwalt den Raum verlassen hatte, brummte Gillis: „Eines Tages breche ich diesem Typ das Genick. Ich schwöre es, ich breche ihm das Genick.“
„Reg dich ab, Gillis. Er könnte schließlich irgendwann Gouverneur werden.“
„In diesem Fall helfe ich Spectre höchstpersönlich, die verdammte Bombe zu deponieren.“
Sam nahm Nina am Arm und führte sie aus dem Raum. „Komm mit. Ich habe heute alle Hände voll zu tun. Ich stelle dir deinen neuen Wachhund vor. Wir bringen dich fürs Erste in einem Hotel unter. Officer Pressler hat den Auftrag, auf dich aufzupassen. Er ist ein guter Polizist. Ich vertraue ihm.“
Officer Leon Pressler war nicht sehr gesprächig. Tatsächlich stellte sich die Frage, ob er außer „Ja, Ma’am“ und „Nein, Ma’am“ überhaupt etwas sagen konnte. Seit drei Stunden lief der durchtrainierte junge Polizist in dem Hotelzimmer auf und ab und überprüfte abwechselnd die Tür und das Fenster. Er sprach nur, wenn Nina eine Frage an ihn richtete, und dann auf die knappste Art, die man sich vorstellen konnte. Sie begann sich zu fragen, ob diese extreme Wortkargheit etwas für Polizisten Typisches war. Oder hatte er Anweisung bekommen, nicht mit der Zeugin zu plaudern?
Sie versuchte ein Buch zu lesen, das sie in dem Andenkenshop des Hotels erstanden hatte, aber nach ein paar Kapiteln gab sie auf. Sein Schweigen machte sie zu nervös. Es war nur normal, dass man sich miteinander unterhielt, wenn man gezwungen war, den ganzen Tag mit einem anderen Menschen in einem Hotelzimmer zu verbringen.
„Sind Sie schon lange bei der Polizei, Leon?“, fragte sie.
„Ja, Ma’am.“
„Gefällt es Ihnen?“
„Ja, Ma’am.“
„Haben Sie manchmal Angst?“
„Nein, Ma’am.“
„Nie?“
„Manchmal.“
Oh, ein winziger Fortschritt, dachte
Weitere Kostenlose Bücher