Angst in deinen Augen
Schwager ist Anwalt?“
„Mit Ambitionen zum Richter. Und dabei ist er gerade erst dreißig geworden.“
„Klingt wie ein Leben auf der Überholspur.“
„Stimmt. Und dazu braucht er eine Frau, die genauso ehrgeizig ist wie er. Wendy ist genau die Richtige für ihn.“ Sie warf Sam einen Blick zu und sah, dass er die Stirn in Falten gelegt hatte. „Ist irgendwas?“, fragte sie.
„Was für ein Theater? Wo sind sie hingegangen?“
„Ins Brant Theater. Dort finden meistens die Benefizkonzerte statt. Es geht um Rechtskostenhilfe oder so etwas.“
Sam starrte auf die Straße. „Das Brant Theater. Ist es nicht gerade wiedereröffnet worden?“
„Ja. Vor einem Monat.“
„Verdammt noch mal. Warum habe ich nicht schon längst daran gedacht?“
Ohne Vorwarnung wendete er mit quietschenden Reifen und fuhr die Straße zurück, die sie gekommen waren.
„Wohin fährst du?“, fragte sie.
„Ins Brant Theater. Ein Rechtskostenhilfe-Benefizkonzert. Wer, glaubst du, wird dort sein?“
„Ein Haufen Anwälte?“
„Richtig. Unter anderem der von uns so geschätzte Staatsanwalt Norm Liddell. Ich liebe Anwälte zwar nicht besonders, aber ich bin auch nicht scharf darauf, ihre Leichen einzusammeln.“
Sie starrte ihn entsetzt an. „Du glaubst, das ist das Ziel? Das Brant Theater?“
„Sie brauchen heute Abend Türsteher. Denk darüber nach. Was trägt ein Türsteher?“
„Manchmal einfach nur eine schwarze Hose und darüber ein weißes Hemd.“
„Aber in einem guten alten Theater wie dem Brant? Sie tragen wahrscheinlich grüne Jacken mit schwarzen Kordeln.“
Eine knappe Viertelstunde später stand Sam bereits auf der Bühne des Brant Theaters und schnappte sich kurzerhand das Mikrofon.
Die Musiker hörten überrascht auf zu spielen.
„Ladys und Gentlemen“, sagte er kurz angebunden. „Hier ist die Portlander Polizei. Wir haben soeben eine Bombendrohung erhalten. Ich möchte Sie bitten, das Gebäude ruhig, aber zügig zu räumen. Ich wiederhole, bleiben Sie ruhig, aber räumen Sie bitte zügig das Gebäude.“
Der Exodus setzte fast umgehend ein. Nina, die in einer der Eingangstüren stand, musste schnell beiseite treten, weil die erste Menschenwoge bereits auf die Gänge schwappte. In dem Durcheinander verlor sie Sam aus den Augen, aber sie konnte immer noch seine Stimme über die Lautsprecher hören.
„Bitte bleiben Sie ruhig. Es droht keine unmittelbare Gefahr. Verlassen Sie das Gebäude in geordneter Form.“
Er wird der Letzte sein, dachte sie. Derjenige, den es am wahrscheinlichsten trifft, wenn die Bombe hochgeht.
Der Aufbruch war jetzt in vollem Gange, ein Schwall verängstigter Männer und Frauen in Abendgarderobe drängte an die Tür. Der erste Hinweis auf eine Katastrophe geschah so schnell, dass Nina es nicht einmal bemerkte. Vielleicht war irgendjemand über einen langen Rock gestolpert, vielleicht stürmten auch einfach zu viele Menschen auf einmal in Richtung Ausgang. Plötzlich stolperten einige Leute und fielen hin. Eine Frau schrie. Im Saal brach schlagartig Panik aus.
11. KAPITEL
N ina beobachtete mit Entsetzen, wie eine Frau in einem langen Abendkleid unter dem wilden Ansturm hinfiel. In der Absicht, ihr aufzuhelfen, versuchte Nina sich durch die ihr entgegenkommende Menge zu schieben, aber sie wurde durch die Eingangstüren nach draußen auf die Straße geschwemmt, und ein Zurück war unmöglich.
Die Straße füllte sich bereits mit betäubt dreinschauenden Evakuierten. Zu ihrer Erleichterung entdeckte sie Wendy und Jake in der Menge; zumindest ihre Schwester war nun in Sicherheit. Die Menschenflut, die aus den Türen strömte, begann langsam abzuebben.
Aber wo war Sam? Hatte er es noch nicht geschafft, nach draußen zu kommen?
Dann erspähte sie ihn. Er hatte einem älteren Mann einen Arm um die Schultern gelegt und half ihm dabei, sich vor einem Laternenpfosten auf dem Gehsteig niederzulassen.
Als Nina auf ihn zuging, entdeckte Sam sie und rief ihr zu: „Komm her und kümmere dich um den Mann hier!“
„Wohin gehst du?“
„Rein. Da drin sind noch mehr, die Hilfe brauchen.“
„Ich kann dir helfen …“
„Du hilfst mir, indem du draußen bleibst. Und kümmere dich um den Mann.“
Sie fühlte dem Mann gerade den Puls und schaute sich verzweifelt nach einem Rettungswagen um, als Sam wieder herauskam, diesmal trug er die Frau in dem Abendkleid, die Nina hatte hinfallen sehen. Er bettete die Frau neben Nina, die vor dem alten Mann auf dem Boden
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