Angst in deinen Augen
sich erhofft hatte.
„Es ist schon spät. Wir sollten fahren“, brummte er. Dann ging er zur Tür. „Ich warte draußen im Auto auf dich.“
Sie brachten sein Phantombild in den Morgennachrichten.
Victor Spectre schaute auf den Bildschirm und lachte leise in sich hinein. Was für ein Witz. Das Phantombild sah ihm nicht im Geringsten ähnlich. Die Ohren waren zu groß, die Kinnpartie zu ausgeprägt, die Augen wirkten wie Knopfaugen. Er hatte nicht solche Knopfaugen. Was war los mit der Polizei? Wo hatte sie ihre Fähigkeiten gelassen?
„Ihr kriegt mich bestimmt nicht“, murmelte er. „Ich bin der Pfefferkuchenmann.“
Diese Cormier musste einem Polizeizeichner eine Beschreibung von ihm gegeben haben. Obwohl ihm das Phantombild kein sonderliches Kopfzerbrechen bereitete, wurde es höchste Zeit, dass er sich endlich um Nina Cormier kümmerte. Sie war die Einzige, die ihm noch in die Quere kommen konnte. Er musste sie unschädlich machen.
Er schaltete den Fernseher aus und ging ins Schlafzimmer, wo die Frau immer noch schlief. Er hatte Marilyn Dukoff vor drei Wochen im Stop Light Club kennengelernt, wo er sich zur Entspannung eine Oben-ohne-Show angeschaut hatte. Marilyn war die Blondine in dem blutroten Glitzer-G-String gewesen. Ihr Gesicht war grob, ihr IQ ein Witz, aber ihre Figur war ein Wunder aus Natur und Silikon. Wie so viele andere Frauen in dem Gewerbe brauchte sie verzweifelt Geld und Zärtlichkeit.
Von ihm bekam sie beides im Überfluss.
Sie hatte seine Geschenke mit aufrichtiger Dankbarkeit angenommen und war bereit, alles für ihn zu tun. Sie war wie ein junger Hund, der zu lange vernachlässigt worden war, loyal und hungrig nach Anerkennung. Das Beste an ihr war, dass sie nie Fragen stellte. Sie wusste, warum.
Er setzte sich neben sie aufs Bett und rüttelte sie wach. „Marilyn?“
Sie öffnete verschlafen ein Auge und lächelte ihn strahlend an. „Guten Morgen.“
Er erwiderte ihr Lächeln. Und ließ einen Kuss folgen. Wie üblich reagierte sie sofort. Dankbar. Er zog sich aus und kroch unter die Decke neben diesen architektonisch erstaunlichen Körper. Es brauchte nicht viel, um sie in Stimmung zu bringen.
Als sie fertig waren, lag sie lächelnd und befriedigt neben ihm, und er wusste, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Deshalb sagte er: „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“
10. KAPITEL
S am wurde von Kaffeeduft und dem Aroma nach etwas anderem, Köstlichem geweckt. Es war Samstag. Er lag allein in seinem Bett, aber es bestand kein Zweifel daran, dass außer ihm noch jemand im Haus war. Er hörte Geräusche aus der Küche, das leise Klappern von Geschirr. Zum ersten Mal seit Monaten ertappte er sich dabei, dass er lächelte, als er aufstand, um unter die Dusche zu gehen. In seiner Küche werkelte eine Frau herum, eine Frau, die Frühstück machte. Erstaunlich, wie sich das ganze Haus dadurch veränderte. Es erschien ihm warm. Einladend.
Nachdem er sich geduscht, rasiert und angezogen hatte, ging er in die Küche. Nina, die am Herd stand, drehte sich um und lächelte ihm fröhlich entgegen.
„Guten Morgen“, murmelte sie und zog ihn, als er näher kam, in eine süß duftende Umarmung. Gott, das war die Fantasie eines jeden Mannes. Oder zumindest war es seine Fantasie: eine tolle Frau in seiner Küche. Das Guten-Morgen-Lächeln. Pfannkuchen in der Pfanne.
Eine Frau im Haus.
Nicht irgendeine Frau. Nina.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schob sie von sich weg. „Nina, wir müssen reden.“
„Du meinst … über den Fall?“
„Nein. Ich meine über dich. Und mich. Wir müssen unbedingt einiges klären, Nina.“
Ihr strahlendes Lächeln verblasste schlagartig. Sie hatte den Schlag schon kommen gespürt. Schweigend drehte sie sich um, hob mit einem Fleischwender den Pfannkuchen aus der Pfanne und ließ ihn auf einen Teller gleiten. Dann stand sie einfach nur da und schaute darauf.
Er hasste sich selbst in diesem Moment. Gleichzeitig wusste er jedoch, dass es keinen anderen Weg gab, damit umzugehen – nicht wenn sie ihm wirklich etwas bedeutete.
„Das mit letzter Nacht hätte nicht passieren dürfen“, sagte er.
„Aber es ist doch gar nichts passiert. Ich habe dich nur nach Hause und ins Bett gebracht.“
„Genau davon rede ich, Nina. Ich war so hundemüde, dass ich es nicht mal gemerkt hätte, wenn ein verdammter Zug durch mein Schlafzimmer gerast wäre. Wie soll ich dich beschützen, wenn ich es nicht mal schaffe, die Augen offen
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