Angst in der 9a
90-jährige Oma kam auf ihrem heißen Ofen. Mit ihren Milchzähnen hat sie das Kabelschloss durchgebissen. Mann, ist die abgerauscht – mit dem Rad auf dem Rücksitz, hahaha. Du merkst hoffentlich, Carsten, dass wir nichts gesehen haben. Wir sitzen hier, weil es gemütlich ist und wir uns entspannen wollen. Wer achtet schon auf dein dämliches Rad.«
»Ich glaube, du lügst«, sagte Tarzan. »Woher weißt du denn, dass mein Kabelschloss durchgetrennt wurde? Davon habe ich nichts erwähnt.«
»Wie.., was? Davon.., weiß ich auch gar nichts. Ich sah nur, wie du das Schloss draußen beim Fahrradständer aufgehoben hast.«
»Das also siehst du? Ich glaube trotzdem, dass ihr beide lügt. Wenn ich das rauskriege, verhelfe ich euch zu so heißen Ohren, dass ihr eure Hohlköpfe für Brutöfen haltet. Wer ist dieser King? Wie heißt er?«
»Wenn du so mit uns redest«, sagte Bettger durch eine Zahnlücke im Mundwinkel, »kriegst du höchstens ein Glas an den Kopf. Hau ab, du Streberleiche!«
Der schmerbäuchige Wirt hatte einiges mitgehört. Wessen Partei er ergriff, erkannte Tarzan an seinen Blicken. Hätten die sich in Messer verwandelt, wäre aus Tarzan Hackfleisch geworden.
Jetzt kam er heran und klatschte beide Hände auf den Tresen.
»Was darf’s sein?«, fuhr er Tarzan an. »Bier, Whisky, Cognac? Oder kommst du verdammter Lümmel nur rein, um mit meinen Gästen zu streiten?«
»Ich wollte mal sehen«, sagte Tarzan ruhig, »wie eine Kneipe aussieht, in der an Jugendliche Alkohol ausgeschenkt wird. Falls Sie’s nicht wissen sollten: Die beiden hiersind gerade erst 15 – geistig natürlich noch nicht. Da gehören sie in den Kindergarten.«
Er ging hinaus. Ganz elend fühlte er sich. Von allem, was er besaß, war ihm sein Rennrad am wichtigsten.
Dass Bettger und Drechsel den Diebstahl beobachtet hatten, stand für ihn fest. Aber beweisen konnte er das nicht. Hatten sie diesen King dazu angestiftet?
Tarzan ging zum Rathaus hinüber. Im Untergeschoss des großen Gebäudes befand sich eine Polizeistation. Einem netten Beamten schilderte er, was sich ereignet hatte.
Der nahm den Sachverhalt auf.
»Viel Hoffnung«, sagte er, »kann ich dir leider nicht machen. Räder werden hier in der Stadt täglich gestohlen – gleich zu Dutzenden. Dass sich eins wiederfindet, ist selten. Na ja, wenn es nur das wäre. Neuerdings scheint die Stadt aus den Fugen zu gehen. Noch nie hatten wir so viele Autodiebstähle wie in letzter Zeit. Dauernd verschwinden Luxusfahrzeuge. Wahrscheinlich ist eine organisierte Bande dafür verantwortlich, die die Autos umfrisiert und ins Ausland verschiebt. Hast du einen Verdacht?«
»Wegen der Autodiebstähle?«, fragte Tarzan verblüfft. »Nein. Wegen deines Rades, meine ich.«
Tarzan überlegte. War es gerechtfertigt, Bettger und Drechsel zu beschuldigen? Und diesen King? Nein!, entschied er. Zumindest vorläufig nicht. Dass er sich irrte, war nicht auszuschließen. Theoretisch konnte auch ein anderer Fahrradklau am Werk gewesen sein. Ehe er zwei Schüler seiner Schule der Mittäterschaft oder Anstiftung zum Diebstahl bezichtigte, wollte er sich seiner Sache sicher sein.
Deshalb zuckte er die Achseln. »Streit hatte ich schon mit so vielen. Ich wüsste nicht, wo ich da anfangen sollte.«
»Jedenfalls haben wir die Beschreibung«, sagte der Beamte. »So ein teures Rennrad ist ja schließlich was Besonderes. Vielleicht taucht es irgendwo auf.«
4. Maria mit der weißen Maus
Er war gewohnt, die weiten Wege mit dem Rad zurückzulegen. Jetzt musste er traben. Er hielt ein flottes Tempo, denn er war ein guter Läufer. Trotzdem kostete es viel Zeit. Später als vorgesehen traf er bei Gaby ein.
Sie wohnte in einer ruhigen Straße. Alte, würdig aussehende Häuser schienen sich aneinander zu lehnen.
Frau Glockner, Gabys Mutter, hatte hier einen kleinen Lebensmittelladen, in dem Gaby manchmal half. Ihr Vater war Kriminalkommissar. Oft musste er verzwickte Fälle aufklären. Tarzan hatte ihn sich zum Vorbild genommen.
Vor dem Geschäft waren Obstkisten aufgestellt.
Gerade wog Frau Glockner ein Kilo Kirschen für eine Kundin ab.
»Grüß dich, Tarzan«, sagte sie lachend, denn sie mochte ihn sehr. »Nanu, zu Fuß heute? Gaby und Maria sind auf dem Hof. Bevor du nachher gehst, kommst du nochmal zu mir rein,ja?«
»Gern, Frau Glockner«, sagte er, obwohl es ihm im Grunde nicht recht war. Denn viel zu oft schenkte sie ihm frisches Obst. Weil er, wie sie sagte, davon im Internat zu wenig
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