Angst in der 9a
Luft machen, aber Maria kam ihr zuvor.
»Habe ich richtig verstanden, Tarzan? Hast du gesagt, ein Rocker, der King genannt wird, stahl dein Rad?«
»Wahrscheinlich war er’s. Ich weiß es nicht sicher. Aber ich verdächtige ihn.«
Maria nickte. »Ich kenne ihn. Er ist Anführer einer Rockerbande. Die machen Jagd auf Ausländer. Auf Gastarbeiter. Sie verprügeln uns. Auch die Mädchen. Sie sagen, wir nehmen ihnen Arbeitsplätze weg. Aber das ist nicht wahr. Denn ein Gastarbeiter bekommt oft den Job, den kein Deutscher will. Die Rocker benutzen das nur als Vorwand. Sie toben ihren Hass auf uns aus. Fabio traut sich abends nicht mehr auf die Straße.«
Tarzan schob die Brauen zusammen. »Wer ist Fabio?«
»Mein Freund. Fabio Leone. Er wohnt nicht weit von hier und lernt in einer Schlosserei. Der King hat ihn so schrecklich geschlagen, dass er zum Arzt gehen musste. Eine sooo lange Wunde hier am Kopf«, sie zeigte die Länge der Wunde und die Stelle am Kopf, »musste genäht werden.«
»So ein Mistkerl«, murmelte Tarzan. »Verprügelt deinen Freund – nur weil er Italiener ist.«
»Nicht nur«, sagte Maria und errötete etwas.
»Nein?«
»Der King will, dass ich.., wie sagt man?.., dass ich mit ihm gehe. Ist das richtig?«
»Ausgedrückt ist es richtig«, sagte Tarzan. »Aber dass du mit ihm gehst, fände ich nicht richtig.«
Sie lächelte. »Niemals würde ich mit ihm gehen. Aber gerade deshalb verfolgt er Fabio mit seinem Hass.«
Tarzan pflückte die weiße Maus aus seinem Haar und gab sie dem Mädchen.
»Weißt du, wie der King heißt?«
»Seibold. Und mit Vornamen Otto. Aber das hört er nicht gern. Otto ist ihm zu schlicht. Deshalb lässt er sich King nennen.«
»Verstehe ich nicht. Mir wäre es egal, ob man mich mitTarzan oder Peter anredet. Jedenfalls habe ich jetzt zwei Gründe, mir diesen Kerl aus der Nähe anzusehen. Wegen meines Rades und deinetwegen.«
Dass Gaby ihn prüfend ansah, merkte er. In ihrem Blick lag etwas, das er nicht gleich deuten konnte. Später erst begriff er, dass es wohl ein kleiner Hauch von Eifersucht war. Bisher hatte Tarzan seine ganze Fürsorge und Ritterlichkeit ausschließlich ihr gewidmet. Daran war sie gewöhnt. Dass er sich jetzt für ein anderes Mädchen einsetzen wollte, verwirrte sie etwas.
Trotzdem – und das sprach für Gabys Charakter – empfand sie Maria gegenüber kein bisschen Feindseligkeit.
»Aber der Mübo«, sagte Tarzan, »geht’s noch viel schlechter als uns.«
»Wieso?«, fragte Gaby.
»Sie wird so terrorisiert, dass sie sich vor Angst schon ganz elend fühlt.«
»Von der 9a, ihrer Klasse«, nickte Gaby, »das wissen wir.«
»Nicht nur. Auf sie werden regelrechte Anschläge verübt.«
Er erzählte, was er wusste.
»Aber das gibt’s doch nicht«, sagte Gaby entsetzt. »Was bedeutet das? Wer steckt dahinter? Und warum?«
»Keine Ahnung. Aber ich meine, wir vom TKKG sollten ihr helfen. Sie ist eine prima Lehrerin und verdient Achtung und Zuneigung. Stattdessen wird sie von ihrer Klasse wie ein Monster behandelt. Und bei ihr zu Hause setzt sich der Terror fort.«
»Ob das eine mit dem andern zusammenhängt?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt. Wissen werden wir’s erst, wenn wir die Verantwortlichen kennen.« Er wandte sich an Maria. »Weißt du zufällig, wo dieser Otto Seibold wohnt?«
»In der Landschaftsstraße«, nickte die Italienerin. »Nebender Hofeinfahrt ist ein großes Schild angebracht: Otto Seibold, der Reifenexperte – steht drauf.«
»Was? Dieser Bengel hat eine Reifenhandlung?«, wunderte Tarzan sich.
»Nicht er, sondern sein Vater. Der geheißt genauso.« »Dort werde ich mich mal umsehen«, meinte Tarzan und verabschiedete sich von den Mädchen.
Auf der Straße wandte er sich nach rechts. Gedankenverloren ging er an Frau Glockners Laden vorbei. Dass er sich bei ihr melden sollte, hatte er vergessen.
Als sie ihn durch die geöffnete Ladentür zurückrief, fiel es ihm wieder ein.
»Ja, Frau Glockner?«
»Ich habe was für dich«, sagte sie und drückte ihm eine Tüte in die Hand.
Erst wollte er sie nicht nehmen. Aber sie bestand – wie üblich – darauf. Er bedankte sich herzlich, aber sie schnitt ihm lächelnd das Wort ab und schob ihn aus dem Laden.
Als er die Tüte öffnete, lachten ihn prallrote Herzkirschen an. Es war mindestens ein Kilo; und sie kosteten so viel, dass er gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dieses herrliche Obst von seinem Taschengeld zu kaufen.
Frau Glockner war wirklich eine
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