Angst in der 9a
– auch von Oma Müller, die wieder ganz verweinte Augen hatte. Gaby holte ihren Oskar aus dem Kinderzimmer. Dann schwangen sich die vier auf die Räder und strampelten stadteinwärts.
Als sie ein Stück geradelt waren, hielt Gaby an.
»Willst du uns nicht zeigen«, fragte sie Tarzan, »was du gefunden hast?«
Wortlos hielt er ihr einen handtellergroßen, kupfernen Anhänger hin. Auf der Vorderseite waren emailleartige Farben eingebrannt: rot, gelb und hellblau. Dargestellt war ein stilisierter Motorradfahrer.
Der Anhänger hing an einem Kettchen. Eins der Glieder war aufgerissen.
»Eine Halskette mit Anhänger«, sagte Karl. »Na und?«
»Du vermutest«, meinte Gaby, »einer der beiden Motorradfahrer hat sie verloren?«
Tarzan nickte.
»Aber das nützt uns nichts, wie?«, forschte Klößchen. »Doch. Ich weiß nämlich, wem sie gehört. Dem King!« Für einen Moment hielten seine Freunde die Luft an.
»Das finde ich stark«, sagte Karl. »Es scheint fast, als wäre das Schicksal auf unserer Seite.«
»Was willst du jetzt machen?«, fragte Gaby.
»Es dem Kerl unter die Nase halten. Ihm klar machen, dass wir ihm auf der Spur sind. Mal sehen, was dann wird. Um der Mübo zu helfen, müssen wir beweisen, dass ihr Mann den Rocker – und wahrscheinlich auch Bettger und Drechsel – bezahlt. Erst mal werde ich mit Seibold junior telefonieren. Ihm ein bisschen Feuer unter dem Hintern machen.«
Als sie weiterfuhren, kamen sie an einem Postamt vorbei. Die beiden Telefonzellen vor dem Gebäude waren besetzt, wurden aber fast gleichzeitig frei.
Im Telefonbuch fand Tarzan die Rufnummer von Otto Seibold, Reifenhandel und Reparaturwerkstatt. Zwei Nummern waren angegeben – fürs Geschäft und privat.
Tarzan wählte die Privatnummer.
Gaby hatte sich zu ihm in die Telefonzelle gequetscht. Karl und Klößchen warteten draußen.
Es läutete zweimal, dann wurde abgehoben. »Seibold«,meldete sich eine etwas keifige Frauenstimme. »Guten Tag. Hier ist Peter. Kann ich, bitte, Otto sprechen?«
»Meinen Mann?«, fragte die Frau.
»Nein, den King. Ihren Sohn.«
»Der ist nicht hier. Der ist bei meinem Mann in der Werkstatt.«
»Besten Dank. Dann probiere ich’s dort. Auf Wiederhören.«
Er legte auf. Für einen Moment überlegte er.
»Hier steht die Adresse. Lagerhausstraße. Dort ist die Reparaturwerkstatt, Gaby. Ich meine, wir sind ganz in der Nähe. Statt anzurufen, sollten wir vielleicht erst mal hinfahren und den Laden beäugen. Könnte doch sein, dass Seibolds Komplize noch dabei ist. Bestimmt hat der den Steingeschleudert, während Seibold fuhr. Das heißt, vielleicht war es auch umgekehrt. Aber das ist ja egal.«
Sie stiegen auf ihre Räder und fuhren zur Lagerhausstraße.
9. Lauscher am Zaun
Ein Lastwagen rumpelte über das Kopfsteinpflaster. In einem Gebäude hämmerte jemand. Ein struppiger Hund verschwand hinter einem Bretterzaun. Die Lagerhausstraße sah so aus, wie sie hieß. Geschäfte gab es hier nicht, auch keine Wohnhäuser. Aber eine Schmiede, eine Spenglerei, eine Firma für Baumaterial, eine Kohle- und Ölhandlung, die Niederlassung einer Brauerei, zwei Speditionen und – die Kfz-Reparaturwerkstatt Otto Seibold.
Offenbar legte man Wert darauf, sich vor neugierigen Blicken zu schützen. Ein mehr als mannshoher Bretterzaun umfriedete den Betrieb. Das Tor lief auf Rollen und stand immerhin weit genug offen, um einen schlanken Mann durchzulassen.
Tarzan hielt an, als sie vorbeiradelten, und spähte durch den Spalt.
Er sah mehrere Gebäude, eine überdachte Hebebühne und Schuppen.
Kings Motorrad stand auf dem Hof, daneben der Porsche des alten Seibold.
Aus einem fensterlosen Gebäude, das wie ein grauer Betonwürfel aussah, drang gedämpftes Zischen wie von einem Gebläse. Aber viel von diesen Lauten ließ die Stahlblechtür nicht durch.
Tarzans Freunde waren weitergeradelt. Karl pfiff und machte Zeichen.
Sie hatten eine Gasse entdeckt, die an der schmalen Seite des Grundstücks entlangführte.
Als Tarzan dort einbog, sah er die drei nicht mehr. Ein abgestellter Lieferwagen füllte die Gasse fast aus. Dahinter konnte man sich verstecken, was die drei auch taten.
»Erstklassig, um den Feind zu beobachten«, meinte Karl, als Tarzan bei seinen Freunden vom Rad sprang. »Die Bretter sind voller Astlöcher.«
»Aber im Moment rührt sich nichts«, sagte Klößchen. Er presste das Gesicht an den Zaun, kniff ein Auge zu und spähte mit dem anderen durch ein fünfmarkstückgroßes
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