Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
bewusst gewesen, und deren hatte es viele gegeben. Was wollte er von ihr? Wollte er da weitermachen, wo sie aufgehört hatten?
Sanna krümmte sich innerlich. Die Nacht mit ihm hatte sie erschüttert, erschöpft und vollkommen befriedigt. Doch am Morgen war sie vom Rauschen der Dusche aufgewacht, und der Schreck hatte eingesetzt. Was hatte sie getan? In blinder Panik hatte sie sich angezogen und war aus dem Hotelzimmer geflohen. Ihre Flucht hatte erst geendet, als sie in der Einfahrt geparkt und ihr Haus angesehen hatte, als gerade die Sonne aufging, und sie sich gefragt hatte, was um aller Welt sie ihrer Schwester erzählen sollte, die auf die Kinder aufgepasst hatte. Sie wollte jedenfalls nicht dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten.
Was sie wollte, war, dass Johannes Kluger wieder verschwand. Er sollte sein Gutachter irgendwann später machen. Wann immer sie den Mann ansah, wurde sie unruhig. Sie musste in jener Nacht verrückt gewesen sein. Es gab keine andere Erklärung für das, was sie getan hatte! Vielleicht war es die Folge der Anstrengung, drei Kinder seit zwei Jahren allein großzuziehen. Oder die Tatsache, dass sie so jung gewesen war, als sie ihren Ehemann verloren hatte, und dass sie sich seitdem nach männlicher Aufmerksamkeit gesehnt hatte. Vielleicht waren ihre Eltern auch echte Kinder der sechziger Jahre gewesen, und sie war durch einen Zeitsprung in die Zeit der freien Liebe zurückversetzt worden. Unmöglich. Die Frau in dem Hotelzimmer war nicht sie selbst gewesen. Sie hatte nicht gewusst, dass man auch nur die Hälfte der Dinge tun konnte, die sie gemeinsam erlebt hatten.
Susanna errötete, als die Erinnerung sie überwältigte und tief in ihrem Körper ein geheimes Sehnen weckte. Ihr Kopf mochte sich gegen die Erinnerungen wehren, aber ihr Körper erinnerte sich an jede einzelne Berührung. Sie wusste nicht, warum sie auf Johannes mit solcher Lust reagierte, aber eines war sicher: Sie musste ihn loswerden, ehe sie irgendeine weitere furchtbare Dummheit beging, zum Beispiel die Nacht von vor zwei Monaten wiederholte.
Sie ging auf der Veranda entlang in den hinteren Garten, und dort blieb sie staunend stehen. Sie war nur zehn Minuten vor dem Haus gewesen, aber die Veränderung im Garten war frappierend. Sämtlicher Müll und alle Spielsachen waren eingesammelt worden, ihr eigener Gartentisch glänzte vor Sauberkeit, und selbst der Grill und der Abfalleimer standen wieder da, wo sie hingehörten. Das Gartentürchen, das zu den Hampels führte, stand auf, und sie beobachtete staunend, wie Johannes, Jonas, Anna-Maria, David und Rocco gerade zurückkamen. Offensichtlich hatten sie gerade den Gartentisch zurückgebracht, den sie sich ausgeliehen hatte. Johannes sah aus wie der Rattenfänger von Hameln, als er die Kinder und den Hund durch das Tor führte.
Sie hätte gelächelt, wenn es ihr nicht solche Angst gemacht hätte. Jonas hatte jenen Ausdruck im Gesicht, den er immer zeigte, wenn er einen neuen Helden gefunden hatte. Anscheinend war Supermann von Platz eins vertrieben worden. David und Anna-Maria wirkten eher etwas verwirrt von der Tatsache, dass ein Mann im Haus war und half. Was Rocco anging, konnte man nie sagen, was er dachte, weil er so viele Haare im Gesicht hatte. Alles, was man erkennen konnte, war seine glänzende schwarze Nase, und die verriet gar nichts.
„Hallo, Mama, das hättest du sehen sollen!“, schrie Jonas, sobald er seine Mutter entdeckte.
„Was hätte ich sehen sollen?“ Sie kam von der Veranda herunter und ging durch den Garten zu der kleinen Gruppe. Die drei Dutzend Luftballons, die Clara und sie an die Büsche gebunden hatten, waren noch immer da und verliehen dem Garten einen festlichen Anstrich. Es würde den Kindern Spaß machen, in den nächsten Tagen im geschmückten Garten zu spielen, bis die Ballons schlapp wurden.
„Herr Kluger hat den Gartentisch von den Hampels ganz alleine getragen.“
Ja, dachte Sanna, Supermann ist eindeutig gerade von Platz eins vertrieben worden. Johannes hatte ihn jetzt inne. Der runde Holztisch war nicht so schwer, aber schwer zu tragen. Man brauchte die Spannweite eines Adlers, um von einer Kante zur anderen zu reichen. Sanna warf einen Blick auf Johannes weißes Poloshirt, auf seine Schultern und Arme. Doch, er hatte diese Spannweite. Und wie breit seine Schultern waren, das wusste sie aus eigener Ansicht.
Hitze stieg ihr in die Wangen, und sie wandte den Blick von Johannes Brust ab. Dieser Mann war
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