Angst vor dem zweiten Anfang: turbulante Familiengeschichte (German Edition)
lärmende Geburtstagspartys zu geben, so hatte er doch Kindermädchen und später Haushälterinnen gehabt, die ihn ins Bett brachten und darauf achteten, dass er alles bekam, was er brauchte. Bis vor ein paar Jahren war seine Mutter eine der führenden Wissenschaftlerinnen in der Krebsforschung gewesen. Sie hatte ihr ganzes Leben dem Ziel gewidmet, diese furchtbare Krankheit zu stoppen. Nun, mit siebenundsiebzig, war sie im Ruhestand, aber niemand würde das bei ihrem Terminplan glauben. Sein Vater war ebenfalls siebenundsiebzig und verbrachte seine Tage auf dem Golfplatz. Jeden Winter packten sie ihre Koffer und Golfsachen und machten sich ins sonnige Florida auf, wo sie ein kleines Haus mit Blick auf den Golfplatz besaßen.
Sanna und ihre Familie unterschieden sich von seiner so sehr wie eine öffentliche Schule von einer Privatschule. Nicht, dass mit öffentlichen Schulen etwas nicht stimmte, sie waren nur Welten von den Schulen entfernt, die er besucht hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr und seufzte. Eigentlich hatte er um diese Zeit mit Sanna sprechen und sie zum Abendessen einladen wollen. Aber dachte er, heute läuft nichts so, wie ich es geplant hatte. Bisher hatte er nicht mehr als ein halbes Dutzend Sätze mit ihr gewechselt, und keiner davon hätte nicht in aller Öffentlichkeit gesagt werden dürfen. Vielleicht bekam er nun seine Chance, wenn David eingeschlafen war. Anna-Maria und Jonas waren doch sicher alt genug, um im Garten zu spielen, ohne dass Sanna jede ihrer Bewegungen überwachte.
„Hallo, Johannes, willst du mal sehen, was ich zum Geburtstag bekommen habe?“ Jonas ergriff seine Hand und zog ihn in Richtung Haus.
Sanna war im Haus, deshalb wehrte sich Johannes nicht, bis ihm einfiel, dass Anna-Maria hinter den Büschen spielte. „Und was ist mit Anna-Maria?“
„Das geht klar. Mama lässt sie immer allein im Garten spielen.“
Johannes warf einen Blick auf die wuchernden Fliederbüsche. Von Anna-Maria oder ihrer Puppe war keine Spur zu sehen.
„Anna-Maria?“
„Ja?“ kam die Antwort aus den Blättern.
„Ich gehe für eine Minute mit Jonas ins Haus. Kannst du solange alleine hier draußen bleiben?“
„Aber ja, Heidi ist doch bei mir.“
Johannes warf Jonas einen Blick zu und flüsterte: „Wer ist Heidi?“
„Ihre Puppe“, flüsterte Jonas zurück.
Johannes nahm an, dass das Sinn machte. Mamis gaben ihren Babys einen Namen, also gaben auch kleine Mädchen ihren Puppen einen. „Gut, Anna-Maria, wenn du uns brauchst, wir sind im Haus.“
Er folgte Jonas durch die Gartentür nach drinnen, war sich aber nicht sicher, ob er das Innere des Hauses wirklich sehen wollte. Das Äußere ließ ihm übel werden. Das Innere könnte ihm das Herz brechen. Er trat in eine große, luftige Küche und seufzte erleichtert auf. Die Küche war mit allen modernen Geräten ausgestattet, hatte aber dabei ihren altmodischen Charme bewahrt. Die Wände waren in einem fröhlichen Gelbton gestrichen. Der Fußboden war schwarz-weiß gekachelt, die Möbel weiß mit Glasfensterchen und schimmernden Knöpfen. Auf dem Fensterbrett wuchsen verschiedene Kräuter in leuchtend bunt angemalten Töpfen.
Wenn man die Überreste des Essens aus dem Garten und den Stapel Geschenke auf dem einen Tisch nicht beachtete, war es ein wundervoller, anheimelnder Raum. Es war die Art Raum, in der man morgens gerne die erste Tasse Kaffee trinken und dabei die Zeitung lesen würde. So, wie Sanna das Haus ausgestattet hatte, würde sein Herz nicht brechen. Wenn die Küche ein Beispiel für alles andere war, musste der Rest des Hauses wunderschön sein.
„Guck“, sagte Jonas, „das hat Mathias mir geschenkt.“
Er hielt eine scheußliche Plastikfigur, halb Mensch, halb Löwe, hoch.
„Und die -“, er ergriff eine andere Figur, die diesmal eher einem Wolf glich, „- ist von Sam.“
Johannes stand da und nickte zu allem, was Jonas ihm zeigte. Jonas hatte drei Baseballkappen, zwei T-Shirts, vier Lastwagen, einen Rennwagen und eine ganze Ladung mutierter Männer mit Ausrüstung und Fahrzeugen bekommen, die man braucht, um die Welt zu retten oder zu zerstören. Jonas schien mit seinen Gaben sehr zufrieden zu sein. „Das sind aber viele Geschenke, Jonas.“
„Ja, aber das Beste hast du noch nicht gesehen.“
Jonas ergriff seine Hand und zog ihn in den Raum, der als Speisezimmer fungierte. Jemand war so sadistisch gewesen, die Stuckwände mit Tapete zu bekleben. Hunderte von zehn Zentimeter hohen Hähnchen
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