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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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ist das ein Verkäufermarkt, trotzdem würde ich bei zwei und zwanzig bleiben.« Quarry schob seinen Stuhl zurück und schwang in einer einzigen, elegant flüssigen Bewegung seine Füße auf den Schreibtisch. »Das wird ein Riesentag für uns, Alexi. Ein Jahr haben wir darauf gewartet, ihnen das vorführen zu können. Denen läuft jetzt schon der Sabber runter.«
    Zwei Prozent Verwaltungsgebühr pro Jahr bei einer Milliarde Dollar machte zwanzig Millionen Dollar, und das nur dafür, dass man morgens zur Arbeit erschien. Zwanzig Prozent Performancegebühr bei einer Milliarde Dollar und einer Rendite von zwanzig Prozent – eine bescheidene Annahme angesichts Hoffmanns aktueller Ausbeute – waren noch einmal vierzig Millionen Dollar pro Jahr. Mit anderen Worten: ein Jahreseinkommen von sechzig Millionen Dollar für einen halben Morgen Arbeit und zwei Stunden qualvollen Smalltalks in einem eleganten Restaurant. Dafür war sogar Hoffmann bereit, Dummköpfe zu ertragen.
    »Wer genau taucht da gleich auf?«, fragte er.
    »Na ja, die üblichen Verdächtigen eben.« In den nächsten zehn Minuten machte Quarry ihn nacheinander mit allen Kunden vertraut. »Aber um die brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Um die kümmere ich mich. Du redest nur über deine kostbaren Algorithmen. Also, ruh dich jetzt noch ein bisschen aus.«

Fünf
    Kaum irgend eine Fähigkeit ist für den intellectuellen Fortschritt des Menschen von grösserer Bedeutung als die Fähigkeit der Aufmerksamkeit. Thiere zeigen diese Fähigkeit offenbar, so wenn eine Katze vor einer Höhle wartet und sich vorbereitet, auf ihre Beute zu springen.
    Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen , 1 8 7 1
    Hoffmanns Büro sah genauso aus wie das von Quarry, nur dass keine Bootsbilder an der Wand hingen. Abgesehen von drei gerahmten Fotografien, war es überhaupt nicht dekoriert. Eines der Fotos zeigte Gabrielle, aufgenommen zwei Jahre zuvor beim Lunch am Pampelonne-Strand in Saint-Tropez. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, lachend schaute sie direkt in die Kamera. Sie hatte gerade lange im Meer geschwommen, und filigrane Spuren getrockneten Salzes überzogen ihre Wangen. Nie hatte Hoffmann einen so quicklebendigen Menschen gesehen. Jedes Mal, wenn er das Foto betrachtete, hob sich seine Stimmung. Das nächste Foto war von ihm selbst, aufgenommen 2001. Er trug einen Schutzhelm und stand 175 Meter unter der Erdober fläche in dem Tunnel, der später den Teilchenbeschleuniger des Large Hadron Collider aufnehmen würde. Das dritte Foto zeigte Quarry im Frack, als er in London aus der Hand eines Ministers der Labour-Regierung die Auszeichnung zum Algorithmic Hedge Fund Manager of the Year entgegennahm. Unnötig zu erwähnen, dass Hoffmann es abgelehnt hatte, an der Zeremonie auch nur teilzunehmen. Quarry hatte seine Entscheidung begrüßt, weil sie seiner Meinung nach dem geheimnisvollen Nimbus der Firma zugutekam.
    Hoffmann schloss die Tür, ging an den Doppelglaswänden seines Büros entlang und ließ alle Jalousien herunter. Er hängte den Regenmantel auf, nahm die CD mit seiner Kopf- CT aus der Hülle und klopfte damit gegen seine Zähne, während er darüber nachdachte, was er nun damit machen sollte. Bis auf den unvermeidlichen Multi-Screen-Computer mit den Bloomberg-Charts auf sechs Monitoren, eine Tastatur, eine Maus und ein Telefon war sein Schreibtisch leer. Er setzte sich in seinen hellbeige orthopädischen Zweitausend-Dollar-Drehsessel mit pneumatischem Kippmechanismus, öffnete die unterste Schublade und schob die CD so weit nach hinten wie möglich. Dann schaltete er den Computer ein. In Tokio hatte der Nikkei 225 – der japanische Aktienindex mit 225 Unternehmen – um 3,3 Prozent niedriger geschlossen. Mitsubishi hatte 5,4 Prozent verloren, Japan Petroleum Exploration 4 Prozent, Mazda 5 Prozent und Nikon 3,5 Prozent. Der Shanghai Composite Index war um 4,1 Prozent auf ein Achtmonatstief gefallen. Das wuchs sich zu einer allgemeinen Tal fahrt aus, dachte Hoffmann.
    Noch bevor er begriff, was mit ihm passierte, verschwammen plötzlich die Bildschirme vor seinen Augen. Er fing an zu weinen. Seine Hände zitterten. Ein fremdartiger, wehklagender Ton kam aus seinem Hals. Sein gesamter Oberkörper bebte krampfartig. Er fiel auseinander, dachte er, als er elend die Stirn auf den Schreibtisch legte. Und doch blieb er auf eigentümliche Weise gleichgültig gegenüber seinem Kollaps, als ob er sich von hoch oben aus einer Ecke des Raumes beobachtete. Er war sich

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