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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Freiheitsbedingung, das hatte dieses So-ist-es-überhaupt-Gefühl produziert. Bis er merkte, daß das Wort Freiheit in eine Fakultät gehörte, die nicht seine Fakultät war. Aber Unabhängigkeit! Unabhängigkeit war ein Wort, das ihm im Vergleich zu Freiheit unmißbrauchbar vorkam. Als er die Bank suchte, die er brauchte, hatte er entdeckt, daß bei Metzler neben dem Namen stand: Unabhängig seit 1674 . Das war sein Fall. Keiner hat Macht über dich.
    Und jetzt? Stornier’s. Weigere dich. Laß dich von diesem Wort nicht tyrannisieren. Wenn die Sprache gegen das Leben spricht, soll sie schweigen. Basta. Du bist abhängig wie noch nie. Du hast von Unabhängigkeit geredet wie der Fisch vom Vogel. Sei hinaus über das, was dich nicht faßt.
    Daß er sich außerhalb der gewöhnlichen Rechtszusammenhänge fühlte, mußte er nicht bedauern. Er hat sein Pflicht- und Anstands- und Zurechnungsfähigkeitssoll abgeliefert. Er hat es verdient, beurlaubt zu werden, und sei’s für immer. Sei, was er tut, ein Verbrechen. Man kann etwas auch als reines Verbrechen begehen. Man ist dann im reinen mit sich. Strabanzer müßte das als Kalauerfügung gelten lassen. Hülfe es, wenn er sich im Augenblick für unzurechnungsfähig hielte? Gut, sag, du seist jetzt unzurechnungsfähig. Das macht dich kein bißchen zurechnungsfähiger. Er hat auch nichts dagegen, krank zu sein. Deine Krankheit heißt Liebe. Keinen Blick mehr für irgendwas. In der Stirn ein Rad. Brennend. Du blühst. Und möchtest durch Drandenken sterben.
    Als dreihundert Sekunden vorbei waren, rief er wieder an. Und ließ es noch länger läuten. Das hat etwas, dieses Telefonschrillen in einem leeren Zimmer. Der genaue Ausdruck dafür, daß du nichts zu verlangen hast. Null Anspruch. Null Anrecht. Null Legitimität. Lehne die Wörter ab. Beherrscht wirst du von ihnen. Du hoffst aber. Du erwartest ohne Grund und Recht und Sinn. Nein, du erwartest nicht. Du wartest. Das ist es. Das ist alles. Du wartest. Sonst ist nichts. Du investierst ins Nichts. Das ist es. Das ist alles. Du willst nur von Joni hören, wie die das gemacht hat, den sorgfältigen Beischlaf. Also eine Liste aller Bewegungen und aller Zeitabläufe und aller Kraftanwendungen. Was haben die wann, wie, wie lange, wie oft gemacht. O bitte, und mit welchen Wörtern, Sätzen, Lauten. Dann der Pseudo-Dostojewskij. Karl hatte vor Jahren Schuld und Sühne gelesen. Er hatte sich damals gewünscht, ein Untersuchungsrichter wie Porfirij Petrowitsch nehme sich seiner an und verhöre ihn so bis in den Grund hinein. So verhört zu werden, das hieße, es interessiert sich jemand ganz wahnsinnig für dich. Und durch dieses grenzenlose Gefragtwerden würdest du, weil du, um nicht verurteilt zu werden, antworten müßtest, deiner selbst inne werden wie nie zuvor. Daß Joni überhaupt Kontakt ertrug mit einem Kerl, der sich Dostojewskij nennen ließ! Bart und lange Haare, und so was darf einer Joni Jetter das Küssen beibringen. Als Kunst! Und sie kann bis heute noch nicht sagen, wie und was der gemacht hat. Er hat meinen Mund entdeckt! Na bitte. Aber erst danach, als sie sich die Verfügungshoheit für ihren Mund hat abnehmen lassen, hat er begonnen, das wachgeküßte Ding zu dem zu machen, was er brauchte. Da ging er dann los auf sein Täubchen, der große russische Leidenszampano, mit keinem anderen Ziel, als dieses Täubchen zum elendesten, erbärmlichsten Gurren zu bringen und es dann, wenn es durch Serien von Selbsterniedrigungsorgien nichts als gar war, unter Zuhilfenahme russisch-religiöser Verbrämungen genußvoll zu verspeisen. Und den ganzen Rummel und Rammel auszugeben als die einzig mögliche Vorbereitung auf die Schauspielkunst. Das werden Sie mir büßen, Herr Rasputinski. Dem Pausbackenheini wird er sagen, daß er ihm den jedesmal fünfundvierzig Sekunden dauernden Beischlaf verarge. Diese Frau, und dann das. Warum hat Joni das monatelang mitgemacht? So mitgemacht, daß es der dann wagte, sie zu sich ins Familiäre einzuladen, um seine Pausbäckigkeit von zwei Frauen betatschen zu lassen. Überhaupt: Viel mehr als über die Praktiken mit diesem und jenem mußte er erfahren, genau erfahren, wie es Joni jeweils dabei zumute war. Beim Pseudo-Dostojewskij auf dem Teppichboden, bei verzehrend leiser Musik, dann er über ihr, an ihr, als sei sie ein Uhrwerk und er der einzige Mensch auf dieser Welt, der dieses noch nie in Gang gekommene Uhrwerk zum Gehen bringen könne. Das tat dann weh, hat sie gesagt. Und je mehr es

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