Angstblüte (German Edition)
war trotz allem, was über ihn gesagt worden war, eine Überraschung. Man kann eben keinen Menschen in eine Sprache fassen, die ihn so enthält, daß man, wenn man ihn persönlich sieht, nur noch nickt und sagt: Ja, genauso habe ich ihn mir vorgestellt.
Rudi-Rudij war außer dem, was Strabanzer und Joni gemeldet hatten, ein Kerlchen, ein Teufelchen, ein Tänzer mit einem schlingernden Knie. Er war beweglich wie Quecksilber, und das strengte ihn offenbar selber an. Er keuchte andauernd ein bißchen. Hatte den Mund nie ganz geschlossen. Das kann daran liegen, daß seine Oberlippe für die zu großen Zähne nicht ganz ausreichte. Aber das Wichtigste: Er sah aus wie die Shakespeare-Ikone. Blank wölbte sich der Schädel, von dem die schwarzen Haare bis auf die Jeans-Schultern fielen. Und dunkle Augenkugeln, die natürlich noch beweglicher waren als der ganze Rudi-Rudij. Das mit dem Knie merkte Karl erst, als sie miteinander ins Spaten-Bräu hinübergingen. Das linke Knie schlingerte bei jedem Schritt samt Bein und Fuß aus der Richtung, war aber dann für den fälligen Tritt schon wieder da. Ein Hinaus-aus-der-Gehrichtung und ein Gleich-wieder-zurück.
Karl hatte im ersten Stock einen Tisch in einer der kleinen Stuben bestellt. Da waren sie ungestört. Als er fragte, was Rudi-Rudij esse, sagte der fröhlich: Ich schließe mich Ihnen an.
Weißbier auch, fragte Karl.
Mit Vergnügen, sagte Rudi-Rudij.
Wenn er sprach, spielten seine Hände eine große Rolle. Als sie schon aßen, legte er oft Messer und Gabel kurz auf den Teller, um seine Hände, die Händchen waren, miteinander zu verknäulen und zu verhaken und wieder voneinander zu lösen und dann die zarten Finger jedes Händchens, wenn es gerade nötig war, zu spreizen.
Das war also der Mann – aber der war nichts so wenig wie ein Mann –, der mit in die Pyrenäen mußte, um die Fische zu töten, die Theodor Strabanzer gefangen hatte. Das Halbliterglas führte er beim Trinken mit beiden Händchen zum Mund. Und wie er sprach! Das war kein Dialekt, das war ganz allein seine Sprache, sein Klang. Vielleicht ein Familienerbstück. Einfach ein rundum angekratztes Hochdeutsch. Fast ein bißchen kabarettistisch.
Karl wußte noch nicht, worüber er mit dieser quirligen Shakespeare-Ikone sprechen sollte. Das Treffen war von Rudi-Rudij gewünscht worden.
Wir kommen gut voran, sagte der. Die Strabanzer-Ästhetik bewährt sich wieder einmal. Wir bleiben ganz nah beim Leben. Deshalb könne er fragen, ob die zwei Millionen jetzt abrufbar seien. Er möchte aber dazu bemerken, daß alles sofort als beendet angesehen werden könne, wenn Herr von Kahn jetzt anderen Sinnes sei und sich für Filmfinanzierung nicht mehr interessiere. Strabanzer und er seien nur arbeitsfähig, wenn sie mehrere Menschen ganz mit sich eins wüßten. Zuerst müßten Strabanzer und er eines Sinnes sein, dann allmählich alle, die zum jeweiligen Projekt gehörten. Er sei ganz sicher, daß nur aus der Einmütigkeit aller Beteiligten die Kraft kommen könne, die nötig sei, so ein Ausdruckswerk unwiderstehlich zu machen. Sie müssen uns nicht nur Geld geben, sagte er, sondern auch Ihre Seel. Immer nur auf Zeit. Da aber ganz.
Karl sagte, er sei gespannt.
Wir auch, sagte Rudi-Rudij.
Karl dachte an Joni.
Rudi-Rudij sagte: Ich find es richtig, daß Sie jetzt an Joni Jetter denken. Weil Karl nicht gleich reagieren konnte, sagte die Shakespeare-Ikone noch: Das kommt vom Gespinst. Netzwerk heißt’s heut. Sobald wir verbunden sind, strömen die Botschaften. Bloß nicht zu früh bremsen. Das Schönste in der Welt kommt nicht vor oder geht kaputt, weil zu früh gebremst wird. Stellen Sie sich vor, wie die Leut’ fahren müßten, fahren würden, fahren könnten, wenn’s keine Bremse nicht gäb. Ich bin ein Bremsfeind, müssen S’ wissen. Jetzt aber meine vampirige participation. Das Leben ist immer unübertrefflich. Aber als solches ist es nichts. Oder bloß das, was genossen oder erlitten wird und vergeht. Zu nichts und wieder nichts. Wenn man’s aber fassen kann, ohne es dadurch kaputtzumachen, dann ist das Leben die Kunst. Sind wir da eines Sinnes?
Karl sagte, auf jeden Fall fiele es ihm schwer zu widersprechen.
Und er: Sie machen mich glücklich, lieber Herr von Kahn, sehr glücklich. Ich skizzier Ihnen das Problem. Das Leben zieht, wenn es für die Kunst gebraucht wird, immer den kürzeren. Die Kunst macht, was ihr das Leben liefert, kaputt. Das ist die Verselbständigung der Kunst auf Kosten des
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