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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Lebens. Das ist das Problem. Es ist wie beim Träumen. Die Menschen sind verführt, ihre Träume mißzuverstehen. Und die Künstler sind verführt, das Leben kaputtzumachen, wenn sie daraus Kunst machen. Theodor-Rodrigo Strabanzer und ich sind Jünger des Paradoxons. Wir können das Schnitzel essen und es doch noch haben. Wir machen aus dem Leben Kunst, und es lebt noch. Als Kunst. In der Kunst. Verstehen Sie. Schluß mit dem Schwindel, Kunst und Leben seien Gegensätze. Quatsch und Schwindel war’s. ’s Beste, was dem Leben passieren kann, ist, daß es Kunst wird. Oder noch eine Anwendung. Zwei Männer lieben die gleiche Frau, die Frau liebt beide gleich, was soll passieren?
    Das, sagte Karl in einem Ton, der zeigen sollte, daß er da mitreden könne, das muß die Frau entscheiden.
    Überaus verständlich, wie Sie reden, rief der Quirlige. Meine Urgroßmutter war bis zur Revolution Primaballerina in Petersburg. Meine Großmutter hat gesagt, ihre Mutter hätte kein Bein bewegen können, wenn sie gewußt hätte, was sie tut. Der Kopf hat kein Privileg. In der Kunst schon gar nicht.
    Also, wie wird das entschieden, sagte Karl von Kahn, zwei Männer, eine Frau.
    Wir müssen sehen, wie das ausgeht, sagte Rudi-Rudij. Es ist ein Experiment. Mein Gefühl sagt mir, das Gefühl machen lassen. Das Gefühl will nichts entscheiden. Das Gefühl ist eine Rose, die ihre Blätter nicht zählen läßt. Das Leben ist gegen Entweder-Oder. Die Kunst muß das respektieren. Sie muß dem Leben folgen, so folgen, daß das Leben es aushält. Das Leben kann nur dann in Kunst übergehen, wenn es zu nichts gezwungen wird. Die Kunst ist eine Liebeserklärung an das Leben. So wird das Leben betört. So wird es Kunst.
    Zum Wohl, sagte Karl von Kahn.
    Sie tranken aus, Karl zahlte, sie gingen zum Taxistand hinüber.
    Als sie sich mit Händedruck verabschiedeten, sagte Rudi-Rudij: Grüßen Sie Joni von ihrem Vampir. Zu diesem Satz schüttelte er kurz den Kopf und zog eine Grimasse. Das konnte nur heißen: Nehmen Sie mich nicht ernst. Seine Oberlippe war aber für seine Zähne wirklich zu klein. Das wiederum sah im Laternenlicht des Opern-Platzes filmmäßig aus. Ganz zuletzt hob er noch sein rechtes Händchen an die Schläfe und ließ es winken.
    Karl konnte das nicht erwidern, aber er nickte, als wolle er sagen: Alles gut, alles wunderbar.
    Rudi-Rudij fuhr vor ihm ab.
    Diese Szene hätte, um Karl zu beeindrucken, nicht auch noch auf dem Opern-Platz stattfinden müssen. Über die breite Freitreppe strömten gerade die Leute herunter, die aus der Oper kamen. Das waren keine einzelnen mehr. Das war ein Wesen. Auch wenn es sich, unten angekommen, zerteilte. Es blieb ein weitläufiges, unzerstörbares Wesen. Das Opernwesen. Daß er sich von Helen hatte aus der Oper vertreiben lassen! Er mußte zurück in die Oper. Irdische Zusammenhänge, gesungen! Es gab doch keine andere Möglichkeit, Wirkliches zu ertragen, als gesungen, Orchester inklusive. Wie er jetzt jeden beneidete, der aus der Oper kam. Daß er das hatte geschehen lassen können, möchte er Helen gern übelnehmen. Mit Joni in die Oper, das wär’s. Das wäre die vollkommene Aufhebung.
    Da spürte er eine Hand auf seiner Schulter und erschrak. Es war Rudi-Rudij. Der war also gar nicht weggefahren.
    Mich freut’s, sagte er. In der Oper ist’s geglückt. Wir sind schon fast eines Sinnes. Ließ ein Händchen winken und schlingerte davon.
    Karl von Kahn konnte jetzt nicht heimfahren. Er suchte rechts von der Maximilianstraße ein Lokal, vor dem man noch im Freien sitzen konnte. Er machte weiter mit Bier. Alle, die hier herumsaßen, die hier vorbeigingen, mehr schoben als gingen, sie waren zusammen genauso ein Wesen wie die, die aus der Oper herunterströmten. Er wollte überall dazugehören. Es gab hier noch genügend Krawattenträger. Und alle hier herum machten klar, daß es keine Wohnungen gibt, keine Schlafzimmer und so weiter. Da gehörte er dazu. Hätte er dazu gehört. Wenn. Wenn er nicht der Älteste gewesen wäre. Der einzige Alte überhaupt. Gut, das warf ihm hier keiner vor. Bis jetzt. Aber es war in jedem Augenblick möglich, daß einer, wie in der U-Bahn, sagte: Der alte Knacker … Was will denn der noch hier?
    Man kann sich so setzen und so sitzen, daß respektiert wird: Der will für sich sein. Gerade nachts, gerade in solchen heißen Nächten. Aber er war ja nur hierhergekommen, weil er telefonieren mußte. Er hatte gemerkt, daß er zu Hause, auch wenn Helen weder stören noch

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