Angstblüte (German Edition)
gegenübersitzt, die Interessenlage unverfälscht ins Gesicht. Und hat durch diese unübliche Offenheit immer einen Vorsprung. Karl von Kahn machte das gelegentlich nach.
Als er Markus Luzius Babenberg im Konferenzraum gegenübersaß, nicht am Konferenztisch, sondern in den zierlichen Sesseln in der Sitzecke, da beschrieb er, sicher zu ausführlich, wie überrascht er gewesen sei, einem Besuch von Markus Luzius Babenberg entgegensehen zu dürfen. Schließlich denke, wer an Markus Luzius Babenberg denke, an alles eher als an Geld und Geschäft. Er, Karl von Kahn, habe sich nicht dagegen wehren können, daß er alle Menschen der Welt, egal, ob er sie persönlich kenne oder von ihnen gehört oder gelesen habe, in zwei Kategorien scheide. Die einen nennen den Profit Gewinn, die anderen nennen den Gewinn Profit.
Und mich, sagte Babenberg, haben Sie zu denen gesteckt, die zum Gewinn Profit sagen.
Karl nickte. Gab aber zu, dieser Einteilungszwang sei die Folge einer berufsbedingten Verkrüppelung. Er wisse so gut wie mancher Professor und jeder Pfarrer, daß, was als Gewinn erscheint, stornierter Verlust sei. Aber das Als-ob-Spiel ist der einzige Zeitvertreib.
Babenberg lachte lautlos, lachte nur mit seinem etwas zu kleinen Mund. Klar, sagte er, Sie müssen es allen recht machen.
Nur mir selber nicht, sagte Karl von Kahn.
Und Babenberg: Auch was mich betrifft, sind Sie dispensiert.
Karl von Kahn: Ich freue mich auf unser Gespräch.
Babenberg: Ich komme natürlich wegen Geld zu Ihnen. Und ich war links. Ich war fasziniert von der Gerechtigkeitsillusion. Bitte, denken Sie nicht, daß ich mich vor dem linken Eo-ipso-Bessersein ekle. Ich sympathisiere damit. Ich gebe aber zu: nicht ohne Hochmut. So wie man mit einem unvorteilhaften Aussehen sympathisiert, das man selber nicht hat. Ich werfe es mir durchaus vor, daß ich bei der öffentlichen Politmoralshow inzwischen fehle. Es gibt hinreißende Exemplare unter den Eo-ipso-Guten, aber eben auch solche, die das Kotzen, zu dem sie reizen, nicht wert sind. Entschuldigung. Und noch nachgefügt: Seit jeder Halbbedarfte in Kassandras Kleider schlüpft.
Das war zum Schluß ein Ausbruch. Es klang, als habe sich Babenberg beim Tolerantseinwollen überanstrengt. Es war Haß. Dem galt die Entschuldigung. Babenbergs Mund zog sich auf sich selbst zurück. Die vorsichtig, aber sehr bestimmt mitarbeitenden eher zarten Hände fielen wie erschöpft auf die jetzt lang ausgestreckten Beine und reichten bis zu den Knien. Pepita. In Cashmere. Vier Knöpfe. Alle zu. Das können sich nur wirklich Schlanke leisten. Also ganz kurze Revers. Und darunter ein T-Shirt. Schwarz.
Da der frischverschneite Wintertag jetzt sein Sonnenlicht auch in die Faulhaber-Straße strahlte, paßte diese scharfe Schwarzweißkleidung unheimlich gut.
Karl von Kahn mußte sagen: Ich hoffe, Sie sind nicht jeden Tag genauso gekleidet, wie es das Klimatheater empfiehlt.
Babenberg ließ den gerade noch festen kleinen Mund richtig zerfließen und sagte: Gefallsucht ist keine tödliche Krankheit.
Babenberg drückte mit einem viel kleineren Mund soviel aus wie Joni mit ihrem Übermund. Was Babenberg hatte, hätte man Kußmäulchen nennen können. Das durfte Karl nicht sagen. Also doch Zensur. Dieser kleine Mund war nie wirklich offen. Eigentlich sprach Babenberg mit geschlossenem Mund. Dieser Mund war reine Dispizlin. Winzige Verschiebungen produzierten viel Ausdruck. Babenberg sprach nie laut. Fast immer zu leise. Selbstherrlich leise, dachte Karl von Kahn. Und er hatte Grund dazu. Er drehte den Kopf ein wenig, daß das rechte Ohr bevorzugt wurde.
Wie immer, wenn einer schätzungsweise fünf bis zehn Jahre jünger war als Karl von Kahn, ließ er den zuerst fünf, dann sieben Jahre jünger sein. Dann zehn. Das war seine Lebensmathematik.
Markus Luzius Babenberg war mindestens einssechsundachtzig, Schuhgröße sicher sechsundvierzig. Karl nahm unwillkürlich das Joni-Maß. Von den zarten Händen würde Joni zwei Finger bestellen. Eine enge Haube blonder, grau durchmischter Haare. Helens Mischung. Weil Babenberg, solange Frau Lenneweit den Tee und die italienischen Leckereien servierte, nichts sagte, mußte Karl von Kahn etwas sagen, weil nicht der Eindruck entstehen durfte, in Gegenwart von Angestellten sage man hier besser nichts. Karl von Kahn sagte also – und er wußte und genoß es, daß Frau Lenneweit diesen Text kannte –: Ihnen gegenüber kann ich aussprechen, was ich im gewöhnlichen Kundengespräch strikt
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