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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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vermeide. Benjamin Graham, der an der Columbia lehrte, dessen berühmtester Schüler Warren Buffett ist, von dem Sie ja sicher gehört haben …
    Never heard, sagte Herr Babenberg.
    Na ja, sagte Karl von Kahn jetzt sanft triumphierend, nämlich über die Kulturfraktion, Warren Buffett ist unter den Wirtschaftsmenschen des 20. Jahrhunderts das, was Picasso unter den Malern ist. Und er ist mein Vorbild, mein Hausheiliger, meine Herzensikone, er ist mir, was Voltaire für unseren Freund Diego ist. Eine Aktie von Berkshire Hathaway , so heißt seine Firma in Omaha, Nebraska, das dürfen Sie zur Kenntnis nehmen, eine Aktie dieser Firma kostet zur Zeit 85   000   Dollar. Ich habe vor zehn Jahren, als sie noch bei fünfunddreißig standen, zwei davon gekauft. Am 30.   11.   1987 kostete eine Hathaway- Aktie 2000   Dollar. Benjamin Graham also, Warren Buffetts Lehrer, hat, ich glaube 1934, geschrieben: Das größte Problem der Anleger – und ihr schlimmster Feind – sind sicher sie selbst. Ich biete mich an, in diesem Kampf auf Ihrer Seite zu kämpfen. Oder, um zivil zu bleiben: auf Ihrer Seite zu sein.
    Was er nicht sagte, war, daß das seine Routine-Eröffnung war. Allerdings nur bei Kunden, bei denen er Ansprüche vermuten durfte. Und größere Summen.
    Das war der Moment, in dem das Professionelle, wenn irgend möglich, mit einer privaten Farbe versehen werden mußte. Er habe, sagte er, Herrn Babenbergs Wortmeldungen im Sängersaal immer sehr genossen. Daß in Wortmeldungen eine Kritik an Diegos Monologen enthalten sein konnte, erkannte Babenberg und machte gleich weiter.
    Erst vorgestern habe er im Sängersaal wirklich fast die Geduld verloren, leider sei Herr von Kahn verhindert gewesen, aber vorgestern habe Diego von den Anwesenden praktisch verlangt, auf Candide wie auf die Bibel zu schwören. Gut, Mitternacht war vorbei, alle, die noch da waren, hätten allenfalls auf den La Tâche geschworen, den Diego ausgeschenkt hatte, tatsächlich der reichste Burgunder, der im Sängersaal je in die Gläser kam. Dem Candide- Schwur waren Diego-Arien über den Zerfall des Marktes vorausgegangen, besonders des Marktes für das einzig Wertvolle, nämlich das, was er anbietet: alte Kostbarkeiten. Einige hatten noch gar nicht mitgekriegt, daß er die Brienner Straße verlassen hat, zurückgekehrt ist in die Theresienstraße.
    Jetzt mußte Karl von Kahn doch dazwischensagen, daß ihm das neu sei.
    Babenberg staunte, gab aber zu, daß er aus einem Nebensatz, mit dem Diego Herrn von Kahns Abwesenheit mehr verrätselt als erklärt hatte, auf irgendwelche Beziehungsveränderungen geschlossen habe. Diegos Bewegungsaufwand sei allerdings so übermäßig gewesen wie immer. Die edle Chaiselongue wird da zum Trampolin, wenn er seine siebzehn Haltungen exekutiert, vom Schlangenbeschwörer bis zum Parlamentspräsidenten. Mit dunklem Humor und heiterer Verachtung gedachte er der Kunden, die seit neuestem glaubten, ohne ihn auszukommen. Es waren die bei ihm üblichen Handelsdramen, bloß gingen sie jetzt alle eher schlecht aus, führten zu keinem Kauf. Toutes les ventes de l’hiver sind im Eimer. Le bilan de la saison: katastrophal. Beispiel Leonie von Beulwitzen, die nicht da war. Für deren aus ihrer Lebenserfahrung stammende Vorliebe, nämlich Landschaftliches ohne Menschen, hatte er ein schlechterdings fabelhaftes Bild gefunden, von Courbet die Grotte humide . Diese sich so sinnlich ins Dunkle und Dunkelste biegende Höhle sei für Leonie von Beulwitzens Sammlung das Programmbild überhaupt. Aber nein, die Magistra Leonie investiere jetzt alles in ökologische Spekulation, wohl bekomm’s. Und es wurde La Tâche auf Leonie von Beulwitzens simples Glück getrunken. Als Konversationsgewürz wurde hinzugefügt, die Magistra, die ja kaum sechzig sei, sei gerade dabei, wieder einmal zu heiraten, um sich wieder scheiden lassen zu können. Dann der Sprung zu Voltaire. Bitte, dachte man, warum nicht. Aber dann Candide . Und nur noch Candide . Eine Bekehrungsgeschichte mit Candide . Erst jetzt gelesen. Erst jetzt sei er durch Erfahrung reif geworden für dieses Buch der Bücher. Ja, weniger sei es nicht. Er habe bisher vorbeigelebt an der Welt. Dann, plötzlich, zerfällt das Verklärungskonstrukt, das er lebenslänglich gebaut und gepflegt hat. Plötzlich zeigt sich die Welt, wie sie ist. Und da trifft er auf Candide : das Vernichtungsevangelium schlechthin. Dann schwärmte dieser erfahrene Mensch von den Bilderbuchorgien des

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