Angstblüte (German Edition)
immer nur sich selbst.
Babenberg: Faust .
Karl von Kahn: Wortkostümverleih.
Babenberg: Eins zu null für Sie.
Karl von Kahn: Brauchen wir schon Schiedsrichter? Ich habe noch Beispiele. Marktblüten, Anlagebeispiele. Low Five -Strategie, zum Beispiel.
Am Jahresanfang werden aus den zehn Dow-Jones-Titeln, Sie wissen, das sind die, die jeden Abend mit dem Dax im Fernsehen gezeigt werden, da werden aus den zehn Aktien mit der höchsten Dividende die fünf Aktien mit dem niedrigsten Kurswert gewählt, und die sollen gekauft werden. In dreißig Jahren wurden so jährlich 17,7 Prozent verdient. Oder: Die Deutsche Börse gibt alle fünfzehn Sekunden den iNAV bekannt. Das ist der indicative Net Asset Value, also der Nettoinventarwert von börsennotierten Indexfonds. Ohne mich! Ich messe nicht. Ich bastle weder Paradiese noch Katastrophen. Ich beobachte den Markt. Ich bin dem Markt ausgesetzt. Ich habe das Messen meinen Mitarbeitern überlassen. Am Ende des Quartals kontrollieren wir, wer die besseren Zahlen hat. Kein Profi will heute auskommen ohne das tägliche Befragen der Benchmark, das sind eben die den Vergleich erlaubenden Datenlieferungen von Bloomberg, Reuters und so weiter. Dr. Herzig, mein jüngster Mitarbeiter, sagt, arbeiten ohne Benchmark, das ist wie Hochsprung ohne Latte. Jeden Morgen kommt er ins Büro und meldet, wieviel Prozent wir überm Dax sind. Ich weiß ohne Vergleich, ob mein Portfolio-Management funktioniert oder nicht.
Babenberg: Sie panzern sich mit Instinkten gegen den Panikhorizont von dreihundertsechzig Grad, gegen das fleißigste Gerücht des Jahrzehnts, das ausschreit, daß die Armen ärmer und die Reichen reicher werden.
Karl von Kahn: Jetzt sind Sie auf der guten alten Schiene gelandet. Aristoteles, Thomas von Aquin und Karl Marx singen unter Ihrer Stabführung im Chor die Antikapitalistenarie vom bösen Zins. Wucher, dröhnt es durch die Jahrhunderte.
Babenberg: Ich wiederhole, daß die Reichen reicher werden und die Armen ärmer.
Karl von Kahn: Matthäus 25, 26: Denn wer hat, dem wird gegeben; und wird im Überfluß haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.
Babenberg: Genau! Heute nennt man’s Globalisierung.
Karl von Kahn: Weil Sie kein Kunde sind bei mir, lesen Sie nicht meine Kunden-Post. Vor zwei Wochen war da zu lesen Matthäus für Anleger . Es ist hörenswert, wie Matthäus den von der Reise zurückgekehrten Herrn seine Diener prüfen läßt. Einem hat er, bevor er verreisen mußte, fünf Talente Silbergeld gegeben, dem anderen zwei Talente, wieder einem anderen ein Talent. Jedem nach seinen Fähigkeiten, sagt Matthäus. Sobald der Herr weg war, begann, sagt Matthäus, der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. Der mit den zwei Talenten gewann zwei dazu. Der, der ein Talent bekommen hatte, grub ein Loch in die Erde, darin versteckte er das Geld seines Herrn. Luther schrieb nicht, der mit den fünf Talenten begann zu wirtschaften, Luther schrieb: und händelte mit den selbigen. Dann kommt der Herr zurück und lobt die, die mit fünf beziehungsweise zwei Talenten einhundert Prozent Gewinn gemacht haben. Er wird beiden, sagt er, in Zukunft größere Aufgaben übertragen. Der, dem er ein Talent anvertraut hat, sagt jetzt: Herr, ich wußte, daß du ein strenger Mann bist ; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich das Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. Der Herr beschimpft ihn. In der heutigen Übersetzung liest sich das so: Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. Bei Luther hieß es noch: So soltestu mein geld zu den Wechslern gethan haben, und wenn ich kommen were, hette ich das meine zu mir genomen mit wucher. Jetzt die Moral von der Geschichte, und es ist eine rein wirtschaftliche Moral: Darumb nemet von jm den Centner und gebets dem, der zehen Centner hat. Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und wird die fülle haben. Wer aber nicht hat, Dem wird auch das er hat genomen werden. Das ist Klartext: Gebt Geld denen, die’s vermehren können. Was heute Talente genannt wird, hieß bei Luther Centner. Bei Matthäus folgt darauf, daß man auch mildtätig sein soll. Kein Wort gegen die so ins Recht gesetzte Geldvermehrung.
Herr von Kahn überreichte Herrn Babenberg das Exemplar der Kunden-Post, aus dem er vorgelesen
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