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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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er jetzt noch und noch. Allerdings wird er da doch ideologisch. Auf seiner Hundertmillionendollaruni in Ungarn sollen Menschen zu Kosmopoliten erzogen werden. Er selber sei auch einer. Merken Sie, wie da der Realismus hinkt? Kosmopolit kann man, glaube ich, nicht vor aller Erfahrung werden, sondern erst nach aller Erfahrung. Von mir aus auch umgekehrt. Das ist Ihr Fach. Andererseits: Daß Soros jetzt verkündet, es herrsche ein Mangel an echten Werten, sagt mir, daß sein Markterfolg ihn entwickelt hat. Der Markt ist von selbst das, was die Veranstaltungen der Politik und der Kunst sich zu sein bemühen: die Verbesserungskraft. Die Bankiersfamilie in Zürich, die sich zwei ununterscheidbare Superautos bauen ließ, von denen immer nur eins zu sehen sein durfte, weil die Leute nicht sehen sollten, daß man zwei solche Luxusdinger hat. Als ein Junior nach dem Motiv gefragt wurde, sagte er: Tiefstapelei und Angst. Jener Landgraf, dann Kurfürst, der seine Landeskinder verkaufte und der Reichste wurde, wollte ja auch für arm gehalten werden.
    Babenberg: Sie reden von meinem nächsten Buch.
    Karl von Kahn: Und schon schweig ich.
    Babenberg: Zur Zeit kann ich nirgends länger als dreißig Minuten sein, ohne von meinem Buch zu reden. Ob es paßt oder nicht. Ich fang einfach davon an.
    Karl von Kahn: Ich bitte darum.
    Babenberg: Aber heute paßt es sogar.
    Karl von Kahn: Und die halbe Stunde ist längst um.
    Babenberg: Das Buch heißt Schuld und Sahne.
    Karl von Kahn: Das klingt aber.
    Babenberg: Und beschrieben wird die Schuldunfähigkeit des Menschen. Wer von Schuld spricht, spricht immer von den anderen, nicht von sich selbst. Schuld und Sahne. Inzwischen heißt Schuld und Sühne im Deutschen wieder, wie es dem Original entspricht: Verbrechen und Strafe. Prestuplenie i nakazanie. Die Gesellschaft hat das Recht, Handlungen Verbrechen zu nennen und Verbrecher zu bestrafen. Daß der Verbrecher sich schuldig fühlen soll, kann sie verlangen, aber nicht bewirken.
    Karl von Kahn: Zur Schuldsprache in der Marktwelt: Der Hundertsekunden-Coup, the Citigroup’s notorious Dr.   Evil trade, hat stattfinden müssen, weil the Citygroup was under pressure to deliver big profits in a hurry.
    Frau Lenneweit hatte schon den pelzbesetzten Mantel in der Hand, die Pelzmütze reichte Karl von Kahn, es wurde ein herzlicher Abschied.
    Als Herr Babenberg draußen war, sagte Frau Lenneweit, den bayerischen Volksmund variierend: Jeder Zoll ein Herr.
    Karl von Kahn machte Frau Lenneweit die üblichen Vorwürfe, weil sie wieder so lange geblieben war; sie sah ihn mit abgrundtiefen Augen an. Seit Helen aus dem Haus war und Frau Lenneweit das gemerkt hatte, ohne daß es ihr gesagt worden war, wurde das allabendliche Auseinandergehen schwieriger.
    Dieser Babenberg. Wenn man von Amadeus Stengl wegen seines Niveaus nicht das Allerschlimmste gewärtigen mußte – obwohl man inzwischen nichts mehr ausschließen sollte –, so galt das erst recht für Babenberg. Er war nicht der immer von sich Hingerissene wie Diego und nicht der Incasso-Beamte seiner Prominenz wie Amadeus, Babenberg war nicht … gewinnend, er warb nicht, er war nicht cool, sondern kühl. Er wirkte nicht freundlicher, als er möglicherweise war. Das war doch das Höchste.
    Auf jeden Fall ein Kundengespräch der erträglichen Art. Geld ist das Apriori. Sagt schon Sohn-Rethel. Den zu zitieren hatte er vergessen. Sohn-Rethel, das war sicher ein Intellektueller nach Babenbergs Geschmack.
    In der U-Bahn saß er einer braungebrannten Frau gegenüber, die den in ihren Schoß gebetteten Pudel so zärtlich behandelte, daß sie es mit Recht für angebracht hielt, die Leute um sie herum aufzuklären. Sie mache sonst kein solches Getue, aber ihr Hund, so alt wie Methusalem, sei heute operiert worden. Als sie das sagte, bemerkte Karl von Kahn die Narbe auf ihrer braungebrannten Stirn. Diese Narbe würde ihn, auch wenn die Frau nicht braungebrannt wäre, kein bißchen stören. Er war froh, daß er die Frau mit der Stirnnarbe anschauen konnte. Er würde mit dieser Frau, wenn sie es zuließe, hingehen, wohin sie wollte. Mit einer Frau, die eine Stirnnarbe hatte und einen heute operierten uralten Pudel so hätschelte, daß sie es selber für nötig hielt, das den Leuten in der U 6 zu erklären, mit einer solchen Frau könnte er sein Leben verbringen. Leider stieg sie schon an der Dietlindenstraße aus. Wenn sie am Nordfriedhof ausgestiegen wäre, hätte er ihr anbieten können, den Pudel zu tragen. Und

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